hat, stürzt keineswegs spurlos wieder in die indifferente Materie ab, sondern seine Wirkungen als Baum in diesem Jahrhundert rinnen individualisiert durch den folgenden Weltgang in alle Äonen hinein. Es wird uns endlich allen klar werden, daß die einzig ersprießliche Projektionsseite unserer Ideale die Ferne vor uns ist, und daß kein Ideal dadurch besser wird, daß es schon einmal hinter uns erfüllt gewesen sein soll. Vor¬ wärts geht unser Weg, nicht rückwärts. Und kein Ideal wird heute mehr dadurch geschaffen, daß ein vergilbtes Pergament uns vorgelegt wird mit dem Siegel irgend eines verschollenen Jahrtausends. Gerade darin sind wir heute neue Menschen, die sich von so unendlich vielen starren, erstarrten Mächten der Vergangenheit, von so viel Mottenstaub mit blutendem Herzen, aber im Banne unentwegter Sehnsucht losgerissen haben auf allen Gebieten des Lebens. Wir haben die Ver¬ gangenheit hingegeben um der Zukunft willen. Jetzt, meine ich, soll es uns auch mehr und mehr gleichgültig sein, ob diese Zukunft doch nur eine verkappte Vergangenheit, ob das neue Testament unserer Ideale nur ein wieder erobertes altes sei.
Wenn die Menschheit auch nicht ihre Bahn begonnen hat schon bei einer vollkommenen Auflösung der Ehe ins Soziale, so bleiben doch die fort und fort zu uns heran¬ steigenden Symptome solcher Lösung und die große Frage bleibt, eben als Zukunftsfrage, ob es nicht doch also die ideale Schlußlösung der Dinge sein werde: absolute Zersetzung der Ehe durch die soziale Organisation der Menschheit im folge¬ richtigen Entwickelungsgang der Menschheit.
Erst das ist die Stelle, wo alle jene Fäden, die wir bis heran aufgesponnen, sich zusammenweben zu der tiefsten, schwersten, aktuell für uns beweglichsten Frage: nämlich der Frage nach dem Dauerwert der menschlichen Ehe.
Aus der Zeitehe wurde einst die Dauerehe. Aus dem Tier wurde der Mensch. Aber nun wandert dieser Mensch in
hat, ſtürzt keineswegs ſpurlos wieder in die indifferente Materie ab, ſondern ſeine Wirkungen als Baum in dieſem Jahrhundert rinnen individualiſiert durch den folgenden Weltgang in alle Äonen hinein. Es wird uns endlich allen klar werden, daß die einzig erſprießliche Projektionsſeite unſerer Ideale die Ferne vor uns iſt, und daß kein Ideal dadurch beſſer wird, daß es ſchon einmal hinter uns erfüllt geweſen ſein ſoll. Vor¬ wärts geht unſer Weg, nicht rückwärts. Und kein Ideal wird heute mehr dadurch geſchaffen, daß ein vergilbtes Pergament uns vorgelegt wird mit dem Siegel irgend eines verſchollenen Jahrtauſends. Gerade darin ſind wir heute neue Menſchen, die ſich von ſo unendlich vielen ſtarren, erſtarrten Mächten der Vergangenheit, von ſo viel Mottenſtaub mit blutendem Herzen, aber im Banne unentwegter Sehnſucht losgeriſſen haben auf allen Gebieten des Lebens. Wir haben die Ver¬ gangenheit hingegeben um der Zukunft willen. Jetzt, meine ich, ſoll es uns auch mehr und mehr gleichgültig ſein, ob dieſe Zukunft doch nur eine verkappte Vergangenheit, ob das neue Teſtament unſerer Ideale nur ein wieder erobertes altes ſei.
Wenn die Menſchheit auch nicht ihre Bahn begonnen hat ſchon bei einer vollkommenen Auflöſung der Ehe ins Soziale, ſo bleiben doch die fort und fort zu uns heran¬ ſteigenden Symptome ſolcher Löſung und die große Frage bleibt, eben als Zukunftsfrage, ob es nicht doch alſo die ideale Schlußlöſung der Dinge ſein werde: abſolute Zerſetzung der Ehe durch die ſoziale Organiſation der Menſchheit im folge¬ richtigen Entwickelungsgang der Menſchheit.
Erſt das iſt die Stelle, wo alle jene Fäden, die wir bis heran aufgeſponnen, ſich zuſammenweben zu der tiefſten, ſchwerſten, aktuell für uns beweglichſten Frage: nämlich der Frage nach dem Dauerwert der menſchlichen Ehe.
Aus der Zeitehe wurde einſt die Dauerehe. Aus dem Tier wurde der Menſch. Aber nun wandert dieſer Menſch in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0306"n="292"/>
hat, ſtürzt keineswegs ſpurlos wieder in die indifferente Materie<lb/>
ab, ſondern ſeine Wirkungen als Baum in dieſem Jahrhundert<lb/>
rinnen individualiſiert durch den folgenden Weltgang in alle<lb/>
Äonen hinein. Es wird uns endlich allen klar werden, daß<lb/>
die einzig erſprießliche Projektionsſeite unſerer Ideale die<lb/>
Ferne vor uns iſt, und daß kein Ideal dadurch beſſer wird,<lb/>
daß es ſchon einmal hinter uns erfüllt geweſen ſein ſoll. Vor¬<lb/>
wärts geht unſer Weg, nicht rückwärts. Und kein Ideal wird<lb/>
heute mehr dadurch geſchaffen, daß ein vergilbtes Pergament<lb/>
uns vorgelegt wird mit dem Siegel irgend eines verſchollenen<lb/>
Jahrtauſends. Gerade darin ſind wir heute neue Menſchen,<lb/>
die ſich von ſo unendlich vielen ſtarren, erſtarrten Mächten<lb/>
der Vergangenheit, von ſo viel Mottenſtaub mit blutendem<lb/>
Herzen, aber im Banne unentwegter Sehnſucht losgeriſſen<lb/>
haben auf allen Gebieten des Lebens. Wir haben die Ver¬<lb/>
gangenheit hingegeben um der Zukunft willen. Jetzt, meine<lb/>
ich, ſoll es uns auch mehr und mehr gleichgültig ſein, ob<lb/>
dieſe Zukunft doch nur eine verkappte Vergangenheit, ob das<lb/>
neue Teſtament unſerer Ideale nur ein wieder erobertes<lb/>
altes ſei.</p><lb/><p>Wenn die Menſchheit auch nicht ihre Bahn begonnen<lb/>
hat ſchon bei einer vollkommenen Auflöſung der Ehe ins<lb/>
Soziale, ſo bleiben doch die fort und fort zu uns heran¬<lb/>ſteigenden Symptome ſolcher Löſung und die große Frage<lb/>
bleibt, eben als Zukunftsfrage, ob es nicht doch alſo die ideale<lb/>
Schlußlöſung der Dinge ſein werde: abſolute Zerſetzung der<lb/>
Ehe durch die ſoziale Organiſation der Menſchheit im folge¬<lb/>
richtigen Entwickelungsgang der Menſchheit.</p><lb/><p>Erſt das iſt die Stelle, wo alle jene Fäden, die wir bis<lb/>
heran aufgeſponnen, ſich zuſammenweben zu der tiefſten,<lb/>ſchwerſten, aktuell für uns beweglichſten Frage: nämlich <hirendition="#g">der<lb/>
Frage nach dem Dauerwert der menſchlichen Ehe</hi>.</p><lb/><p>Aus der Zeitehe wurde einſt die Dauerehe. Aus dem<lb/>
Tier wurde der Menſch. Aber nun wandert dieſer Menſch in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[292/0306]
hat, ſtürzt keineswegs ſpurlos wieder in die indifferente Materie
ab, ſondern ſeine Wirkungen als Baum in dieſem Jahrhundert
rinnen individualiſiert durch den folgenden Weltgang in alle
Äonen hinein. Es wird uns endlich allen klar werden, daß
die einzig erſprießliche Projektionsſeite unſerer Ideale die
Ferne vor uns iſt, und daß kein Ideal dadurch beſſer wird,
daß es ſchon einmal hinter uns erfüllt geweſen ſein ſoll. Vor¬
wärts geht unſer Weg, nicht rückwärts. Und kein Ideal wird
heute mehr dadurch geſchaffen, daß ein vergilbtes Pergament
uns vorgelegt wird mit dem Siegel irgend eines verſchollenen
Jahrtauſends. Gerade darin ſind wir heute neue Menſchen,
die ſich von ſo unendlich vielen ſtarren, erſtarrten Mächten
der Vergangenheit, von ſo viel Mottenſtaub mit blutendem
Herzen, aber im Banne unentwegter Sehnſucht losgeriſſen
haben auf allen Gebieten des Lebens. Wir haben die Ver¬
gangenheit hingegeben um der Zukunft willen. Jetzt, meine
ich, ſoll es uns auch mehr und mehr gleichgültig ſein, ob
dieſe Zukunft doch nur eine verkappte Vergangenheit, ob das
neue Teſtament unſerer Ideale nur ein wieder erobertes
altes ſei.
Wenn die Menſchheit auch nicht ihre Bahn begonnen
hat ſchon bei einer vollkommenen Auflöſung der Ehe ins
Soziale, ſo bleiben doch die fort und fort zu uns heran¬
ſteigenden Symptome ſolcher Löſung und die große Frage
bleibt, eben als Zukunftsfrage, ob es nicht doch alſo die ideale
Schlußlöſung der Dinge ſein werde: abſolute Zerſetzung der
Ehe durch die ſoziale Organiſation der Menſchheit im folge¬
richtigen Entwickelungsgang der Menſchheit.
Erſt das iſt die Stelle, wo alle jene Fäden, die wir bis
heran aufgeſponnen, ſich zuſammenweben zu der tiefſten,
ſchwerſten, aktuell für uns beweglichſten Frage: nämlich der
Frage nach dem Dauerwert der menſchlichen Ehe.
Aus der Zeitehe wurde einſt die Dauerehe. Aus dem
Tier wurde der Menſch. Aber nun wandert dieſer Menſch in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/306>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.