sich aufwärts. Der Mensch von heute ist schon nicht mehr der vor tausend, vor zweitausend Jahren. Unendlich erweitert ist der Lichtkreis seines Schauens. Was wird er von der Ehe als Dauerwert darin schauen?
[Abbildung]
Geben wir uns nach der einen Seite keinen Täuschungen hin.
Wir haben die Ehe geschichtlich heraufkommen sehen auf allen möglichen praktischen Schutzgründen. Sie selber schien nur ein kleiner Sozialversuch. Eine Schutzgenossenschaft baute sich in ihr wie ein kleines Bretterhäuslein über dem Quell der Liebe im großen wilden Erdenurwald. Die Linien dieser alten praktischen Begründung haben wir nun auch heute noch allenthalben in unserem praktischen Alltagsehebilde handgreif¬ lich deutlich. Auch wir sehen noch im Vater den notwendigen Ernährer der Familie, wir sehen in der Ehe einen Schutz der Frau, der Kinder, einen wirtschaftlichen Kristallisationspunkt und Schwerpunkt, ohne den die Menschheit nicht erhalten bleiben könnte. Täuschen wir uns aber nicht darüber, daß diese groben wirtschaftlichen Schutzdinge sich wirklich eines Tages bei uns auflösen müssen in eine höhere Sozialordnung hinein.
Der wilde Urwald, um in jenem Bilde zu bleiben, mit seinem Dorndickicht, seinen Schlangen und Tigern wird eines Tages zum lichten, sonnenerhellten Kulturwald ohne Raub¬ gezeug und mit mühelosen Parkpfaden werden. Du magst dir das fern oder nah denken, denken mußt du es, wenn du über¬ haupt an einen Fortschritt der Kultur glaubst, wenn du in ihr eine Weltbestimmung siehst und nicht bloß ein sinnloses Gaukelspiel, -- von Zukunftswerten aber reden wir ja hier.
Nun denn: in diesem Kulturwalde wird der Quell der Liebe kein Schutzdeckelchen von einem Dutzend Tannenbrettern der Nützlichkeit im groben Sinne mehr brauchen, -- er wird frei sprudeln dürfen überall, wo er aus sich heraus die Kraft
ſich aufwärts. Der Menſch von heute iſt ſchon nicht mehr der vor tauſend, vor zweitauſend Jahren. Unendlich erweitert iſt der Lichtkreis ſeines Schauens. Was wird er von der Ehe als Dauerwert darin ſchauen?
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Geben wir uns nach der einen Seite keinen Täuſchungen hin.
Wir haben die Ehe geſchichtlich heraufkommen ſehen auf allen möglichen praktiſchen Schutzgründen. Sie ſelber ſchien nur ein kleiner Sozialverſuch. Eine Schutzgenoſſenſchaft baute ſich in ihr wie ein kleines Bretterhäuslein über dem Quell der Liebe im großen wilden Erdenurwald. Die Linien dieſer alten praktiſchen Begründung haben wir nun auch heute noch allenthalben in unſerem praktiſchen Alltagsehebilde handgreif¬ lich deutlich. Auch wir ſehen noch im Vater den notwendigen Ernährer der Familie, wir ſehen in der Ehe einen Schutz der Frau, der Kinder, einen wirtſchaftlichen Kriſtalliſationspunkt und Schwerpunkt, ohne den die Menſchheit nicht erhalten bleiben könnte. Täuſchen wir uns aber nicht darüber, daß dieſe groben wirtſchaftlichen Schutzdinge ſich wirklich eines Tages bei uns auflöſen müſſen in eine höhere Sozialordnung hinein.
Der wilde Urwald, um in jenem Bilde zu bleiben, mit ſeinem Dorndickicht, ſeinen Schlangen und Tigern wird eines Tages zum lichten, ſonnenerhellten Kulturwald ohne Raub¬ gezeug und mit müheloſen Parkpfaden werden. Du magſt dir das fern oder nah denken, denken mußt du es, wenn du über¬ haupt an einen Fortſchritt der Kultur glaubſt, wenn du in ihr eine Weltbeſtimmung ſiehſt und nicht bloß ein ſinnloſes Gaukelſpiel, — von Zukunftswerten aber reden wir ja hier.
Nun denn: in dieſem Kulturwalde wird der Quell der Liebe kein Schutzdeckelchen von einem Dutzend Tannenbrettern der Nützlichkeit im groben Sinne mehr brauchen, — er wird frei ſprudeln dürfen überall, wo er aus ſich heraus die Kraft
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ſich aufwärts. Der Menſch von heute iſt ſchon nicht mehr
der vor tauſend, vor zweitauſend Jahren. Unendlich erweitert
iſt der Lichtkreis ſeines Schauens. Was wird er von der
Ehe als Dauerwert darin ſchauen?
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Geben wir uns nach der einen Seite keinen Täuſchungen hin.
Wir haben die Ehe geſchichtlich heraufkommen ſehen auf
allen möglichen praktiſchen Schutzgründen. Sie ſelber ſchien
nur ein kleiner Sozialverſuch. Eine Schutzgenoſſenſchaft baute
ſich in ihr wie ein kleines Bretterhäuslein über dem Quell
der Liebe im großen wilden Erdenurwald. Die Linien dieſer
alten praktiſchen Begründung haben wir nun auch heute noch
allenthalben in unſerem praktiſchen Alltagsehebilde handgreif¬
lich deutlich. Auch wir ſehen noch im Vater den notwendigen
Ernährer der Familie, wir ſehen in der Ehe einen Schutz der
Frau, der Kinder, einen wirtſchaftlichen Kriſtalliſationspunkt
und Schwerpunkt, ohne den die Menſchheit nicht erhalten bleiben
könnte. Täuſchen wir uns aber nicht darüber, daß dieſe
groben wirtſchaftlichen Schutzdinge ſich wirklich eines Tages
bei uns auflöſen müſſen in eine höhere Sozialordnung hinein.
Der wilde Urwald, um in jenem Bilde zu bleiben, mit
ſeinem Dorndickicht, ſeinen Schlangen und Tigern wird eines
Tages zum lichten, ſonnenerhellten Kulturwald ohne Raub¬
gezeug und mit müheloſen Parkpfaden werden. Du magſt dir
das fern oder nah denken, denken mußt du es, wenn du über¬
haupt an einen Fortſchritt der Kultur glaubſt, wenn du in
ihr eine Weltbeſtimmung ſiehſt und nicht bloß ein ſinnloſes
Gaukelſpiel, — von Zukunftswerten aber reden wir ja hier.
Nun denn: in dieſem Kulturwalde wird der Quell der
Liebe kein Schutzdeckelchen von einem Dutzend Tannenbrettern
der Nützlichkeit im groben Sinne mehr brauchen, — er wird
frei ſprudeln dürfen überall, wo er aus ſich heraus die Kraft
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/307>, abgerufen am 21.11.2024.
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