dann beim jungen Manne auch der Bart hinzu, so erschien das bei unseren Bräuchen allerdings schon nicht mehr bedenk¬ lich, wurde im Gegenteil mit dem Gefühl einer endlich er¬ reichten Mannesergänzung begrüßt. Aber auch der andere Schrecken verlor sich, denn die Flut stieg nach kurzem Schwellen thatsächlich doch nicht höher. Es blieb bei den paar eroberten Flecken: Achsel, Scham und beim Manne dem unteren Teile des Gesichts. Der Rest blieb nach wie vor nackt. Und bloß beim Manne zeigte sich auch an Brust, Bauch und Gliedmaßen je nachdem und individuell äußerst verschieden eine immerhin etwas stärkere Fellneigung.
Einen weiteren einheitlichen Vorstoß giebt's dann für den ganzen Rest des Lebens nicht mehr. Wie nahe immerhin die Grenze von Pelzmensch und Nacktmensch selbst beim Geborenen und Erwachsenen noch schwankt, das illustriert sehr hübsch das Auftreten gelegentlicher wirklicher Abnormitäten. Da zeigt sich unter Hunderttausenden plötzlich einmal ein Mann, der trägt über dem Kerbschnitt des Gesäßes eine große Rosette dichten Haars, als seien die Körperseiten von der Natur vertauscht. Und vertauscht ist wirklich etwas, doch bloß zeitlich, nicht räum¬ lich, -- es ist etwas ins offene Leben dauernd mit hinaus¬ geraten, was eigentlich bloß dem Lotosstadium in der Mutter¬ blüte angehörte: jenes Haarschwänzlein des Embryo. Ein andermal tauchen als Sehenswürdigkeiten eines Panoptikums "Pudelmenschen" auf, bei denen das Kopfhaar absteigend die ganze Stirn und das Wangenhaar übergreifend den ganzen Rest des Gesichts erobert hat, -- von der Menge bestaunt wie ein scheusäliges Wunder. Auch hier ist nichts geschehen, als daß die Embryokraft, die dort bei uns allen das Gesicht schon einmal ins allgemeine Pelzkornfeld hineingerissen hatte, permanent geblieben ist für ein ganzes Menschenleben. Ansätze dazu haben wir oft genug unter uns. Wenn dir die Augen¬ brauen zusammengewachsen sind, so hat dich mit leichtester Hand schon etwas von dieser Überkraft berührt, -- ein Anhauch zu¬
dann beim jungen Manne auch der Bart hinzu, ſo erſchien das bei unſeren Bräuchen allerdings ſchon nicht mehr bedenk¬ lich, wurde im Gegenteil mit dem Gefühl einer endlich er¬ reichten Mannesergänzung begrüßt. Aber auch der andere Schrecken verlor ſich, denn die Flut ſtieg nach kurzem Schwellen thatſächlich doch nicht höher. Es blieb bei den paar eroberten Flecken: Achſel, Scham und beim Manne dem unteren Teile des Geſichts. Der Reſt blieb nach wie vor nackt. Und bloß beim Manne zeigte ſich auch an Bruſt, Bauch und Gliedmaßen je nachdem und individuell äußerſt verſchieden eine immerhin etwas ſtärkere Fellneigung.
Einen weiteren einheitlichen Vorſtoß giebt's dann für den ganzen Reſt des Lebens nicht mehr. Wie nahe immerhin die Grenze von Pelzmenſch und Nacktmenſch ſelbſt beim Geborenen und Erwachſenen noch ſchwankt, das illuſtriert ſehr hübſch das Auftreten gelegentlicher wirklicher Abnormitäten. Da zeigt ſich unter Hunderttauſenden plötzlich einmal ein Mann, der trägt über dem Kerbſchnitt des Geſäßes eine große Roſette dichten Haars, als ſeien die Körperſeiten von der Natur vertauſcht. Und vertauſcht iſt wirklich etwas, doch bloß zeitlich, nicht räum¬ lich, — es iſt etwas ins offene Leben dauernd mit hinaus¬ geraten, was eigentlich bloß dem Lotosſtadium in der Mutter¬ blüte angehörte: jenes Haarſchwänzlein des Embryo. Ein andermal tauchen als Sehenswürdigkeiten eines Panoptikums „Pudelmenſchen“ auf, bei denen das Kopfhaar abſteigend die ganze Stirn und das Wangenhaar übergreifend den ganzen Reſt des Geſichts erobert hat, — von der Menge beſtaunt wie ein ſcheuſäliges Wunder. Auch hier iſt nichts geſchehen, als daß die Embryokraft, die dort bei uns allen das Geſicht ſchon einmal ins allgemeine Pelzkornfeld hineingeriſſen hatte, permanent geblieben iſt für ein ganzes Menſchenleben. Anſätze dazu haben wir oft genug unter uns. Wenn dir die Augen¬ brauen zuſammengewachſen ſind, ſo hat dich mit leichteſter Hand ſchon etwas von dieſer Überkraft berührt, — ein Anhauch zu¬
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dann beim jungen Manne auch der Bart hinzu, ſo erſchien
das bei unſeren Bräuchen allerdings ſchon nicht mehr bedenk¬
lich, wurde im Gegenteil mit dem Gefühl einer endlich er¬
reichten Mannesergänzung begrüßt. Aber auch der andere
Schrecken verlor ſich, denn die Flut ſtieg nach kurzem Schwellen
thatſächlich doch nicht höher. Es blieb bei den paar eroberten
Flecken: Achſel, Scham und beim Manne dem unteren Teile
des Geſichts. Der Reſt blieb nach wie vor nackt. Und bloß
beim Manne zeigte ſich auch an Bruſt, Bauch und Gliedmaßen
je nachdem und individuell äußerſt verſchieden eine immerhin
etwas ſtärkere Fellneigung.
Einen weiteren einheitlichen Vorſtoß giebt's dann für den
ganzen Reſt des Lebens nicht mehr. Wie nahe immerhin die
Grenze von Pelzmenſch und Nacktmenſch ſelbſt beim Geborenen
und Erwachſenen noch ſchwankt, das illuſtriert ſehr hübſch das
Auftreten gelegentlicher wirklicher Abnormitäten. Da zeigt ſich
unter Hunderttauſenden plötzlich einmal ein Mann, der trägt
über dem Kerbſchnitt des Geſäßes eine große Roſette dichten
Haars, als ſeien die Körperſeiten von der Natur vertauſcht.
Und vertauſcht iſt wirklich etwas, doch bloß zeitlich, nicht räum¬
lich, — es iſt etwas ins offene Leben dauernd mit hinaus¬
geraten, was eigentlich bloß dem Lotosſtadium in der Mutter¬
blüte angehörte: jenes Haarſchwänzlein des Embryo. Ein
andermal tauchen als Sehenswürdigkeiten eines Panoptikums
„Pudelmenſchen“ auf, bei denen das Kopfhaar abſteigend die
ganze Stirn und das Wangenhaar übergreifend den ganzen
Reſt des Geſichts erobert hat, — von der Menge beſtaunt
wie ein ſcheuſäliges Wunder. Auch hier iſt nichts geſchehen,
als daß die Embryokraft, die dort bei uns allen das Geſicht
ſchon einmal ins allgemeine Pelzkornfeld hineingeriſſen hatte,
permanent geblieben iſt für ein ganzes Menſchenleben. Anſätze
dazu haben wir oft genug unter uns. Wenn dir die Augen¬
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ſchon etwas von dieſer Überkraft berührt, — ein Anhauch zu¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/34>, abgerufen am 21.11.2024.
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