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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Aber diese Erinnerungssaat beginnt auch ebenso geheimnis¬
voll von selbst wieder zu verkümmern, noch ehe der erste offene
Lichtstrahl sie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der
Geburt bist, desto weniger von diesem härenen Urkleide deiner
Lebenspilgerschaft bringst du dabei mit zu Tage. Gegen den
siebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel
es zunehmend wieder ab. Am spätesten vielfach noch hält sich
das lange Schulterhaar. Dann bist du "da", und nun hebt
eine erst recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.

Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes scheint
der erste Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu
beginnen. Wieder schießen als erste Spargelzucht die Brauen,
Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber seltsame Neuerung
plötzlich: der Rest kommt diesmal nicht mit, der gesamte übrige
Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne
langen, grob sichtbaren Pelz, -- er sticht fortan gegen diese
Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare
als "nackt" ab.

Fortan, -- das heißt für eine gewisse Reihe von Jahren.
Denn zu Ende ist die Kette dieser haarigen Geheimnisse noch
immer nicht. Jahre rinnen. Da wirst du -- ob Mann, ob
Weib -- liebesreif. Und nun auf einmal ist es, als komme
in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich
noch ein Zug, als wollten sie sich aufrappeln und den ur¬
sprünglichen Pelz im Ganzen wiederherstellen. Hier, dort be¬
ginnt es zu sprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den
Achseln und über den Geschlechtsteilen. Wer erinnert sich nicht
kindlicher Nöte, kindlicher Besorgnisse beim Auftreten dieses
späten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menschen¬
seele, der es -- wie so oft -- an freundlich lächelnder Be¬
lehrung fehlte, hat den Schreck auskosten müssen, es erobere
sie von diesen verborgensten Stellen aus eine unheimliche Tier¬
heit, die sie am Ende ganz zur Mißgestalt erniedrigen und
aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließen werde. Trat

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Aber dieſe Erinnerungsſaat beginnt auch ebenſo geheimnis¬
voll von ſelbſt wieder zu verkümmern, noch ehe der erſte offene
Lichtſtrahl ſie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der
Geburt biſt, deſto weniger von dieſem härenen Urkleide deiner
Lebenspilgerſchaft bringſt du dabei mit zu Tage. Gegen den
ſiebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel
es zunehmend wieder ab. Am ſpäteſten vielfach noch hält ſich
das lange Schulterhaar. Dann biſt du „da“, und nun hebt
eine erſt recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.

Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes ſcheint
der erſte Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu
beginnen. Wieder ſchießen als erſte Spargelzucht die Brauen,
Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber ſeltſame Neuerung
plötzlich: der Reſt kommt diesmal nicht mit, der geſamte übrige
Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne
langen, grob ſichtbaren Pelz, — er ſticht fortan gegen dieſe
Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare
als „nackt“ ab.

Fortan, — das heißt für eine gewiſſe Reihe von Jahren.
Denn zu Ende iſt die Kette dieſer haarigen Geheimniſſe noch
immer nicht. Jahre rinnen. Da wirſt du — ob Mann, ob
Weib — liebesreif. Und nun auf einmal iſt es, als komme
in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich
noch ein Zug, als wollten ſie ſich aufrappeln und den ur¬
ſprünglichen Pelz im Ganzen wiederherſtellen. Hier, dort be¬
ginnt es zu ſprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den
Achſeln und über den Geſchlechtsteilen. Wer erinnert ſich nicht
kindlicher Nöte, kindlicher Beſorgniſſe beim Auftreten dieſes
ſpäten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menſchen¬
ſeele, der es — wie ſo oft — an freundlich lächelnder Be¬
lehrung fehlte, hat den Schreck auskoſten müſſen, es erobere
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heit, die ſie am Ende ganz zur Mißgeſtalt erniedrigen und
aus der menſchlichen Gemeinſchaft ausſchließen werde. Trat

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[19/0033] Aber dieſe Erinnerungsſaat beginnt auch ebenſo geheimnis¬ voll von ſelbſt wieder zu verkümmern, noch ehe der erſte offene Lichtſtrahl ſie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der Geburt biſt, deſto weniger von dieſem härenen Urkleide deiner Lebenspilgerſchaft bringſt du dabei mit zu Tage. Gegen den ſiebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel es zunehmend wieder ab. Am ſpäteſten vielfach noch hält ſich das lange Schulterhaar. Dann biſt du „da“, und nun hebt eine erſt recht geheimnisvolle Haarerneuerung an. Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes ſcheint der erſte Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu beginnen. Wieder ſchießen als erſte Spargelzucht die Brauen, Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber ſeltſame Neuerung plötzlich: der Reſt kommt diesmal nicht mit, der geſamte übrige Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne langen, grob ſichtbaren Pelz, — er ſticht fortan gegen dieſe Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare als „nackt“ ab. Fortan, — das heißt für eine gewiſſe Reihe von Jahren. Denn zu Ende iſt die Kette dieſer haarigen Geheimniſſe noch immer nicht. Jahre rinnen. Da wirſt du — ob Mann, ob Weib — liebesreif. Und nun auf einmal iſt es, als komme in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich noch ein Zug, als wollten ſie ſich aufrappeln und den ur¬ ſprünglichen Pelz im Ganzen wiederherſtellen. Hier, dort be¬ ginnt es zu ſprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den Achſeln und über den Geſchlechtsteilen. Wer erinnert ſich nicht kindlicher Nöte, kindlicher Beſorgniſſe beim Auftreten dieſes ſpäten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menſchen¬ ſeele, der es — wie ſo oft — an freundlich lächelnder Be¬ lehrung fehlte, hat den Schreck auskoſten müſſen, es erobere ſie von dieſen verborgenſten Stellen aus eine unheimliche Tier¬ heit, die ſie am Ende ganz zur Mißgeſtalt erniedrigen und aus der menſchlichen Gemeinſchaft ausſchließen werde. Trat 2*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/33>, abgerufen am 23.11.2024.