Scheiterhaufen flammen rot, auf denen überführte Teufelsliebchen brennen. ...
Vorbei! Vorbei! Noch ein paar Bilder rasen dahin. Da schleppt sich eine Chippeway-Indianerin mit einem selt¬ samen Bündel. Ihr Mann ist ihr gestorben. Nun muß sie ein Jahr lang, wo sie geht und steht, ein symbolisches "Modell" dieses Gatten im Arm tragen. Ihr bestes Kleid hat sie dazu genommen, wie eine Wickelpuppe ist es eingerollt und mit des Mannes Gürtel gebunden, mit seinen Schmucksachen verziert. Dort die Ostjakin führt als Witwe ein Brett mit, roh in menschliche Form geschnitzt. Auch das ist für die Trauerzeit ihr "Gatte". Sie putzt es, sie nimmt es mit in ihr verwaistes Bett, sie stellt ihm bei der Mahlzeit Speise und Trank hin. Märtyrerinnen sind sie, diese armen Witwen, weit über den einfachen Verlust des Liebsten hinaus. Wenn die indische Witwe sich auf dem Scheiterhaufen mit der Leiche des Gemahls verbrennt, so klingt noch etwas hinein von heroischer Liebe, die in den Tod folgt. Aber die Quälerei der Phantasie weiß ganz anders raffinierte Bußen für sie. Ein mystisches Band bleibt zwischen Gemahl und Witwe nach indischem Glauben, auch wenn die Witwe weiterlebt. Von ihrer Lebensart hängt die Seligkeit des Toten ab. Für immer ist sie fortan eine Gezeichnete, die eine heilige Diät halten muß. Nur einmal am Tage soll sie essen. Fleisch, Fisch und Nachtisch giebt es dabei nicht mehr für sie, dafür um so häufiger Fasten und Kasteien. Ihr schönes Haar darf sie nicht mehr pflegen, nie mehr darf sie in einen Spiegel schauen. Auf einer rauhen Matte muß sie schlafen, als Kissen ein hölzerner Klotz. Es ist, als sitze der Verlorene ihr noch wie ein Gespenst zeitlebens im Nacken.
Und was willst du? Dort keucht die Tolkotin-Indianerin wirklich daher unter einer Last schlotternden Totengebeins, -- Gebeine ihres Mannes. Als der Gatte verbrannt worden war, mußte die arme Witwe die größten Knochen in einen
Scheiterhaufen flammen rot, auf denen überführte Teufelsliebchen brennen. ...
Vorbei! Vorbei! Noch ein paar Bilder raſen dahin. Da ſchleppt ſich eine Chippeway-Indianerin mit einem ſelt¬ ſamen Bündel. Ihr Mann iſt ihr geſtorben. Nun muß ſie ein Jahr lang, wo ſie geht und ſteht, ein ſymboliſches „Modell“ dieſes Gatten im Arm tragen. Ihr beſtes Kleid hat ſie dazu genommen, wie eine Wickelpuppe iſt es eingerollt und mit des Mannes Gürtel gebunden, mit ſeinen Schmuckſachen verziert. Dort die Oſtjakin führt als Witwe ein Brett mit, roh in menſchliche Form geſchnitzt. Auch das iſt für die Trauerzeit ihr „Gatte“. Sie putzt es, ſie nimmt es mit in ihr verwaiſtes Bett, ſie ſtellt ihm bei der Mahlzeit Speiſe und Trank hin. Märtyrerinnen ſind ſie, dieſe armen Witwen, weit über den einfachen Verluſt des Liebſten hinaus. Wenn die indiſche Witwe ſich auf dem Scheiterhaufen mit der Leiche des Gemahls verbrennt, ſo klingt noch etwas hinein von heroiſcher Liebe, die in den Tod folgt. Aber die Quälerei der Phantaſie weiß ganz anders raffinierte Bußen für ſie. Ein myſtiſches Band bleibt zwiſchen Gemahl und Witwe nach indiſchem Glauben, auch wenn die Witwe weiterlebt. Von ihrer Lebensart hängt die Seligkeit des Toten ab. Für immer iſt ſie fortan eine Gezeichnete, die eine heilige Diät halten muß. Nur einmal am Tage ſoll ſie eſſen. Fleiſch, Fiſch und Nachtiſch giebt es dabei nicht mehr für ſie, dafür um ſo häufiger Faſten und Kaſteien. Ihr ſchönes Haar darf ſie nicht mehr pflegen, nie mehr darf ſie in einen Spiegel ſchauen. Auf einer rauhen Matte muß ſie ſchlafen, als Kiſſen ein hölzerner Klotz. Es iſt, als ſitze der Verlorene ihr noch wie ein Geſpenſt zeitlebens im Nacken.
Und was willſt du? Dort keucht die Tolkotin-Indianerin wirklich daher unter einer Laſt ſchlotternden Totengebeins, — Gebeine ihres Mannes. Als der Gatte verbrannt worden war, mußte die arme Witwe die größten Knochen in einen
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Scheiterhaufen flammen rot, auf denen überführte Teufelsliebchen
brennen. ...
Vorbei! Vorbei! Noch ein paar Bilder raſen dahin.
Da ſchleppt ſich eine Chippeway-Indianerin mit einem ſelt¬
ſamen Bündel. Ihr Mann iſt ihr geſtorben. Nun muß ſie
ein Jahr lang, wo ſie geht und ſteht, ein ſymboliſches „Modell“
dieſes Gatten im Arm tragen. Ihr beſtes Kleid hat ſie dazu
genommen, wie eine Wickelpuppe iſt es eingerollt und mit des
Mannes Gürtel gebunden, mit ſeinen Schmuckſachen verziert.
Dort die Oſtjakin führt als Witwe ein Brett mit, roh in
menſchliche Form geſchnitzt. Auch das iſt für die Trauerzeit
ihr „Gatte“. Sie putzt es, ſie nimmt es mit in ihr verwaiſtes
Bett, ſie ſtellt ihm bei der Mahlzeit Speiſe und Trank hin.
Märtyrerinnen ſind ſie, dieſe armen Witwen, weit über den
einfachen Verluſt des Liebſten hinaus. Wenn die indiſche
Witwe ſich auf dem Scheiterhaufen mit der Leiche des Gemahls
verbrennt, ſo klingt noch etwas hinein von heroiſcher Liebe,
die in den Tod folgt. Aber die Quälerei der Phantaſie weiß
ganz anders raffinierte Bußen für ſie. Ein myſtiſches Band
bleibt zwiſchen Gemahl und Witwe nach indiſchem Glauben,
auch wenn die Witwe weiterlebt. Von ihrer Lebensart hängt
die Seligkeit des Toten ab. Für immer iſt ſie fortan eine
Gezeichnete, die eine heilige Diät halten muß. Nur einmal
am Tage ſoll ſie eſſen. Fleiſch, Fiſch und Nachtiſch giebt es
dabei nicht mehr für ſie, dafür um ſo häufiger Faſten und
Kaſteien. Ihr ſchönes Haar darf ſie nicht mehr pflegen, nie
mehr darf ſie in einen Spiegel ſchauen. Auf einer rauhen
Matte muß ſie ſchlafen, als Kiſſen ein hölzerner Klotz. Es
iſt, als ſitze der Verlorene ihr noch wie ein Geſpenſt zeitlebens
im Nacken.
Und was willſt du? Dort keucht die Tolkotin-Indianerin
wirklich daher unter einer Laſt ſchlotternden Totengebeins, —
Gebeine ihres Mannes. Als der Gatte verbrannt worden
war, mußte die arme Witwe die größten Knochen in einen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/343>, abgerufen am 21.11.2024.
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