Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.hatte alle möglichen Grenzen, Schatten, Entwickelungsmale. Kein Geringerer als unser großer Goethe hat in der schönsten "Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter gescholten, Grausend kennt sie die Welt Jahre die tausende schon, Python dich und dich, Lernäischer Drache! Doch seid ihr Durch die rüstige Hand thätiger Götter gefällt. Ihr zerstöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer Herde, Wiesen und Wald, goldene Saaten nicht mehr. Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue Ungeheure Geburt giftigen Schlammes gesandt? Überall schleicht er sich ein und in den lieblichsten Gärtchen Lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an. Sei mir, hesperischer Drache, gegrüßt, du, du zeigtest dich mutig, Du verteidigtest kühn goldener Äpfel Besitz! Aber dieser verteidiget nichts -- und wo er sich findet, Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert. Heimlich krümmet er sich im Busche, besudelt die Quellen, Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau." hatte alle möglichen Grenzen, Schatten, Entwickelungsmale. Kein Geringerer als unſer großer Goethe hat in der ſchönſten „Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter geſcholten, Grauſend kennt ſie die Welt Jahre die tauſende ſchon, Python dich und dich, Lernäiſcher Drache! Doch ſeid ihr Durch die rüſtige Hand thätiger Götter gefällt. Ihr zerſtöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer Herde, Wieſen und Wald, goldene Saaten nicht mehr. Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue Ungeheure Geburt giftigen Schlammes geſandt? Überall ſchleicht er ſich ein und in den lieblichſten Gärtchen Lauert tückiſch der Wurm, packt den Genießenden an. Sei mir, heſperiſcher Drache, gegrüßt, du, du zeigteſt dich mutig, Du verteidigteſt kühn goldener Äpfel Beſitz! Aber dieſer verteidiget nichts — und wo er ſich findet, Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert. Heimlich krümmet er ſich im Buſche, beſudelt die Quellen, Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0355" n="341"/> hatte alle möglichen Grenzen, Schatten, Entwickelungsmale.<lb/> Aber es lag in ihm keine Spur dieſer Möglichkeit: ein menſch¬<lb/> liches Liebespaar eint ſich; es vollbringt den großen Natur¬<lb/> akt bis zum vollen Zweck; ein Kind geht aus dieſem Akte<lb/> hervor; aber gleichzeitig iſt der Akt ein verhängnisvoller Ver¬<lb/> giftungsprozeß; ein zehrendes Gift, furchtbar wie das des<lb/> Philoktet in der griechiſchen Tragödie, iſt bei dem Akt über¬<lb/> geſprungen wie ein Blitz von Metall zu Metall ſpringt; und<lb/> dieſes Gift ſpringt nicht nur von Körper zu Körper der<lb/> Liebenden; es frißt ſich hinein in die mikroſkopiſch winzige<lb/> Samenzelle des Mannes, in die Eizelle des Weibes; vergiftet<lb/> im Moment ſeiner Zeugung, wächſt das Kind in das Siechtum<lb/> hinein; und ſo rollt das Gift weiter durch Generationen.</p><lb/> <p>Kein Geringerer als unſer großer Goethe hat in der ſchönſten<lb/> Liebesdichtung deutſcher Sprache, ſeinen römiſchen Elegien,<lb/> dem Abrupten, Dämoniſchen, Widerſinnigen dieſes ganz iſo¬<lb/> lierten menſchlichen Liebesphänomens eine klaſſiſche Charakteriſtik<lb/> gewidmet. (Die Verſe ſind in den älteren Ausgaben unter¬<lb/> drückt!)</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>„Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter geſcholten,</l><lb/> <l>Grauſend kennt ſie die Welt Jahre die tauſende ſchon,</l><lb/> <l>Python dich und dich, Lernäiſcher Drache! Doch ſeid ihr</l><lb/> <l>Durch die rüſtige Hand thätiger Götter gefällt.</l><lb/> <l>Ihr zerſtöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer</l><lb/> <l>Herde, Wieſen und Wald, goldene Saaten nicht mehr.</l><lb/> <l>Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue</l><lb/> <l>Ungeheure Geburt giftigen Schlammes geſandt?</l><lb/> <l>Überall ſchleicht er ſich ein und in den lieblichſten Gärtchen</l><lb/> <l>Lauert tückiſch der Wurm, packt den Genießenden an.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Sei mir, heſperiſcher Drache, gegrüßt, du, du zeigteſt dich mutig,</l><lb/> <l>Du verteidigteſt kühn goldener Äpfel Beſitz!</l><lb/> <l>Aber dieſer verteidiget nichts — und wo er ſich findet,</l><lb/> <l>Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert.</l><lb/> <l>Heimlich krümmet er ſich im Buſche, beſudelt die Quellen,</l><lb/> <l>Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.“</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [341/0355]
hatte alle möglichen Grenzen, Schatten, Entwickelungsmale.
Aber es lag in ihm keine Spur dieſer Möglichkeit: ein menſch¬
liches Liebespaar eint ſich; es vollbringt den großen Natur¬
akt bis zum vollen Zweck; ein Kind geht aus dieſem Akte
hervor; aber gleichzeitig iſt der Akt ein verhängnisvoller Ver¬
giftungsprozeß; ein zehrendes Gift, furchtbar wie das des
Philoktet in der griechiſchen Tragödie, iſt bei dem Akt über¬
geſprungen wie ein Blitz von Metall zu Metall ſpringt; und
dieſes Gift ſpringt nicht nur von Körper zu Körper der
Liebenden; es frißt ſich hinein in die mikroſkopiſch winzige
Samenzelle des Mannes, in die Eizelle des Weibes; vergiftet
im Moment ſeiner Zeugung, wächſt das Kind in das Siechtum
hinein; und ſo rollt das Gift weiter durch Generationen.
Kein Geringerer als unſer großer Goethe hat in der ſchönſten
Liebesdichtung deutſcher Sprache, ſeinen römiſchen Elegien,
dem Abrupten, Dämoniſchen, Widerſinnigen dieſes ganz iſo¬
lierten menſchlichen Liebesphänomens eine klaſſiſche Charakteriſtik
gewidmet. (Die Verſe ſind in den älteren Ausgaben unter¬
drückt!)
„Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter geſcholten,
Grauſend kennt ſie die Welt Jahre die tauſende ſchon,
Python dich und dich, Lernäiſcher Drache! Doch ſeid ihr
Durch die rüſtige Hand thätiger Götter gefällt.
Ihr zerſtöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer
Herde, Wieſen und Wald, goldene Saaten nicht mehr.
Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue
Ungeheure Geburt giftigen Schlammes geſandt?
Überall ſchleicht er ſich ein und in den lieblichſten Gärtchen
Lauert tückiſch der Wurm, packt den Genießenden an.
Sei mir, heſperiſcher Drache, gegrüßt, du, du zeigteſt dich mutig,
Du verteidigteſt kühn goldener Äpfel Beſitz!
Aber dieſer verteidiget nichts — und wo er ſich findet,
Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert.
Heimlich krümmet er ſich im Buſche, beſudelt die Quellen,
Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.“
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