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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Die Menschheit ist ein Fluch, ein Unsinn. Besser sie stirbt,
so rasch sie kann. Muß sie leben, so ist's nur ewig erneute
Qual. Ich wenigstens werde nichts dazu thun. Nicht im
Katzenjammer der Orgien sage ich's. Nüchtern wie dieses
graue Häusermeer da draußen, das so viel Qual konzentriert.
Aber doch: Fluch der Liebe!

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In beiden Fällen ist es des Menschen Tiefstes, was die
Liebe verneint: seine Weltanschauung. Die Liebe erscheint in
ihrer äußersten ideellen Zuspitzung plötzlich geprägt in ein
Wort. Dieses Wort heißt Weltbejahung. Aus jener Philo¬
sophie aber klingt ihm das andere Wort entgegen: Welt¬
verneinung. Das ist der letzte, aber auch der höchste Gegensatz.

Weltanschauung ist der höchste Wert der Menschheit. Mit
ihr löst sich endgültig der Mensch vom Tier. Dieser Begriff
ist die Mündigkeitserklärung des Menschen. Mit ihm tritt er
in die Weltherrschaft ein. Er wird aus einem Untergebenen
ein freier Bürger. Bisher hat er gelebt, weil es so über¬
kommen war. Fortan lebt er, weil er will. Der Mensch,
der eine Weltanschauung gewinnt und sein Leben danach ein¬
richtet, steht da, als rauschten die Paradiesbäume vor ihm
auseinander; du willst, -- gut, so gehe; da liegt das weite
Ackerfeld; nimm selber deine Wegleitung in die Hand, sei ein
freier Mann, suche; es ist nicht immer lustig, frei und ein
Mann zu sein, im Storchteich liegt sichs behaglicher; aber dafür
wirst du die ungeheure Genugthuung haben, deine Siege fortan
dir zu verdanken, dir, dem Sehenden, Selbstsuchenden.

Dieser Mensch, aus dem Paradies entlassen, war aber erst
ein kleines Stückchen durch die alten Dornen mit dem neuen
Gesicht gegangen, da stand er vor dem bedeutsamsten Kreuzweg.

Die Menſchheit iſt ein Fluch, ein Unſinn. Beſſer ſie ſtirbt,
ſo raſch ſie kann. Muß ſie leben, ſo iſt's nur ewig erneute
Qual. Ich wenigſtens werde nichts dazu thun. Nicht im
Katzenjammer der Orgien ſage ich's. Nüchtern wie dieſes
graue Häuſermeer da draußen, das ſo viel Qual konzentriert.
Aber doch: Fluch der Liebe!

[Abbildung]

In beiden Fällen iſt es des Menſchen Tiefſtes, was die
Liebe verneint: ſeine Weltanſchauung. Die Liebe erſcheint in
ihrer äußerſten ideellen Zuſpitzung plötzlich geprägt in ein
Wort. Dieſes Wort heißt Weltbejahung. Aus jener Philo¬
ſophie aber klingt ihm das andere Wort entgegen: Welt¬
verneinung. Das iſt der letzte, aber auch der höchſte Gegenſatz.

Weltanſchauung iſt der höchſte Wert der Menſchheit. Mit
ihr löſt ſich endgültig der Menſch vom Tier. Dieſer Begriff
iſt die Mündigkeitserklärung des Menſchen. Mit ihm tritt er
in die Weltherrſchaft ein. Er wird aus einem Untergebenen
ein freier Bürger. Bisher hat er gelebt, weil es ſo über¬
kommen war. Fortan lebt er, weil er will. Der Menſch,
der eine Weltanſchauung gewinnt und ſein Leben danach ein¬
richtet, ſteht da, als rauſchten die Paradiesbäume vor ihm
auseinander; du willſt, — gut, ſo gehe; da liegt das weite
Ackerfeld; nimm ſelber deine Wegleitung in die Hand, ſei ein
freier Mann, ſuche; es iſt nicht immer luſtig, frei und ein
Mann zu ſein, im Storchteich liegt ſichs behaglicher; aber dafür
wirſt du die ungeheure Genugthuung haben, deine Siege fortan
dir zu verdanken, dir, dem Sehenden, Selbſtſuchenden.

Dieſer Menſch, aus dem Paradies entlaſſen, war aber erſt
ein kleines Stückchen durch die alten Dornen mit dem neuen
Geſicht gegangen, da ſtand er vor dem bedeutſamſten Kreuzweg.

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[356/0370] Die Menſchheit iſt ein Fluch, ein Unſinn. Beſſer ſie ſtirbt, ſo raſch ſie kann. Muß ſie leben, ſo iſt's nur ewig erneute Qual. Ich wenigſtens werde nichts dazu thun. Nicht im Katzenjammer der Orgien ſage ich's. Nüchtern wie dieſes graue Häuſermeer da draußen, das ſo viel Qual konzentriert. Aber doch: Fluch der Liebe! [Abbildung] In beiden Fällen iſt es des Menſchen Tiefſtes, was die Liebe verneint: ſeine Weltanſchauung. Die Liebe erſcheint in ihrer äußerſten ideellen Zuſpitzung plötzlich geprägt in ein Wort. Dieſes Wort heißt Weltbejahung. Aus jener Philo¬ ſophie aber klingt ihm das andere Wort entgegen: Welt¬ verneinung. Das iſt der letzte, aber auch der höchſte Gegenſatz. Weltanſchauung iſt der höchſte Wert der Menſchheit. Mit ihr löſt ſich endgültig der Menſch vom Tier. Dieſer Begriff iſt die Mündigkeitserklärung des Menſchen. Mit ihm tritt er in die Weltherrſchaft ein. Er wird aus einem Untergebenen ein freier Bürger. Bisher hat er gelebt, weil es ſo über¬ kommen war. Fortan lebt er, weil er will. Der Menſch, der eine Weltanſchauung gewinnt und ſein Leben danach ein¬ richtet, ſteht da, als rauſchten die Paradiesbäume vor ihm auseinander; du willſt, — gut, ſo gehe; da liegt das weite Ackerfeld; nimm ſelber deine Wegleitung in die Hand, ſei ein freier Mann, ſuche; es iſt nicht immer luſtig, frei und ein Mann zu ſein, im Storchteich liegt ſichs behaglicher; aber dafür wirſt du die ungeheure Genugthuung haben, deine Siege fortan dir zu verdanken, dir, dem Sehenden, Selbſtſuchenden. Dieſer Menſch, aus dem Paradies entlaſſen, war aber erſt ein kleines Stückchen durch die alten Dornen mit dem neuen Geſicht gegangen, da ſtand er vor dem bedeutſamſten Kreuzweg.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/370>, abgerufen am 21.11.2024.