Liebe; oder ein sinnloser Spuck einer sinnlosen Welt. Du hast so viel große, ernste Geister als Genossen in beiden An¬ schauungen, daß du dich in guter Gesellschaft bescheiden magst. Mir aber gestatte ein letztes, ein persönlichstes Wort.
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Der Weg vom Waldschratt zur Madonna, wie ich ihn fasse, steht diesen beiden schwarzen Wegen vollkommen fern.
Wohl glaube auch ich, daß kein denkender Mensch auch in unseren Tagen auf die Welt um sich her und das eigene Leben schauen kann, ohne sich der Wucht des Schmerzlichen, Unbefriedigten, Unvollendeten dort bewußt zu werden. Ich will ganz gewiß nicht dem das Wort reden, was ein so hoher Geist wie Schopenhauer "verruchten" Optimismus genannt hat: einem seichten Schönreden vor den furchtbaren Schmerzquellen dieses Daseins, das sich mit Verhüllen hinweghilft und das da meint, mit einem Alltagswort vom "liebenden Vater" das andere Weltantlitz "aus Blut und Wunden" beseitigen zu können. Dieser Menschengeist mit der Dornenkrone schaut dich an, du magst dich wenden, wohin du willst. Und es ist auch die Liebe, die diese Dornenkrone trägt. Jede Philosophie muß mit diesem wehen Antlitz des Daseins rechnen, muß es als eine Grund-Weltthatsache mit verrechnen. Aber die Frage ist, ob es eine andere Kette von Erscheinungen giebt, die stark ist, dem das Gegengewicht zu halten.
Hier scheint mir nun zunächst wichtig, daß jene ganze erste, ältere Form des Pessimismus für unsere Tage und unser Naturdenken schon stark zurücktritt einfach durch ihre dualistische Grundlage. Unser ganzes neueres Naturerkennen, wie es auch unser ganzes Gespräch hier trägt, drängt mit einer zwingenden Gewalt auf eine Einheit dieser Natur. Nichts ist außer ihr
Liebe; oder ein ſinnloſer Spuck einer ſinnloſen Welt. Du haſt ſo viel große, ernſte Geiſter als Genoſſen in beiden An¬ ſchauungen, daß du dich in guter Geſellſchaft beſcheiden magſt. Mir aber geſtatte ein letztes, ein perſönlichſtes Wort.
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Der Weg vom Waldſchratt zur Madonna, wie ich ihn faſſe, ſteht dieſen beiden ſchwarzen Wegen vollkommen fern.
Wohl glaube auch ich, daß kein denkender Menſch auch in unſeren Tagen auf die Welt um ſich her und das eigene Leben ſchauen kann, ohne ſich der Wucht des Schmerzlichen, Unbefriedigten, Unvollendeten dort bewußt zu werden. Ich will ganz gewiß nicht dem das Wort reden, was ein ſo hoher Geiſt wie Schopenhauer „verruchten“ Optimismus genannt hat: einem ſeichten Schönreden vor den furchtbaren Schmerzquellen dieſes Daſeins, das ſich mit Verhüllen hinweghilft und das da meint, mit einem Alltagswort vom „liebenden Vater“ das andere Weltantlitz „aus Blut und Wunden“ beſeitigen zu können. Dieſer Menſchengeiſt mit der Dornenkrone ſchaut dich an, du magſt dich wenden, wohin du willſt. Und es iſt auch die Liebe, die dieſe Dornenkrone trägt. Jede Philoſophie muß mit dieſem wehen Antlitz des Daſeins rechnen, muß es als eine Grund-Weltthatſache mit verrechnen. Aber die Frage iſt, ob es eine andere Kette von Erſcheinungen giebt, die ſtark iſt, dem das Gegengewicht zu halten.
Hier ſcheint mir nun zunächſt wichtig, daß jene ganze erſte, ältere Form des Peſſimismus für unſere Tage und unſer Naturdenken ſchon ſtark zurücktritt einfach durch ihre dualiſtiſche Grundlage. Unſer ganzes neueres Naturerkennen, wie es auch unſer ganzes Geſpräch hier trägt, drängt mit einer zwingenden Gewalt auf eine Einheit dieſer Natur. Nichts iſt außer ihr
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Liebe; oder ein ſinnloſer Spuck einer ſinnloſen Welt. Du
haſt ſo viel große, ernſte Geiſter als Genoſſen in beiden An¬
ſchauungen, daß du dich in guter Geſellſchaft beſcheiden magſt.
Mir aber geſtatte ein letztes, ein perſönlichſtes Wort.
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Der Weg vom Waldſchratt zur Madonna, wie ich ihn
faſſe, ſteht dieſen beiden ſchwarzen Wegen vollkommen fern.
Wohl glaube auch ich, daß kein denkender Menſch auch
in unſeren Tagen auf die Welt um ſich her und das eigene
Leben ſchauen kann, ohne ſich der Wucht des Schmerzlichen,
Unbefriedigten, Unvollendeten dort bewußt zu werden. Ich will
ganz gewiß nicht dem das Wort reden, was ein ſo hoher Geiſt
wie Schopenhauer „verruchten“ Optimismus genannt hat: einem
ſeichten Schönreden vor den furchtbaren Schmerzquellen dieſes
Daſeins, das ſich mit Verhüllen hinweghilft und das da meint,
mit einem Alltagswort vom „liebenden Vater“ das andere
Weltantlitz „aus Blut und Wunden“ beſeitigen zu können.
Dieſer Menſchengeiſt mit der Dornenkrone ſchaut dich an, du
magſt dich wenden, wohin du willſt. Und es iſt auch die Liebe,
die dieſe Dornenkrone trägt. Jede Philoſophie muß mit
dieſem wehen Antlitz des Daſeins rechnen, muß es als eine
Grund-Weltthatſache mit verrechnen. Aber die Frage iſt, ob
es eine andere Kette von Erſcheinungen giebt, die ſtark iſt,
dem das Gegengewicht zu halten.
Hier ſcheint mir nun zunächſt wichtig, daß jene ganze
erſte, ältere Form des Peſſimismus für unſere Tage und unſer
Naturdenken ſchon ſtark zurücktritt einfach durch ihre dualiſtiſche
Grundlage. Unſer ganzes neueres Naturerkennen, wie es auch
unſer ganzes Geſpräch hier trägt, drängt mit einer zwingenden
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/377>, abgerufen am 21.11.2024.
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