in alle Zeiten und Räume hinein erhalten in Gestalt bestimmter Wirkungswellenkreise, die auf ein bestimmtes, individualisiertes Zentrum, eine ursprüngliche Konstellation in alle Ewigkeit ein¬ gestellt bleiben. Es ist das die Thatsache, auf der Fechner seine großartige Unsterblichkeitslehre aufgebaut hat, die auf kein Titelchen vom naturwissenschaftlichen Material verzichtet.
Gerade von dieser Grundthatsache aus wird aber wieder jene Radtheorie mindestens so unwahrscheinlich wie möglich. Die auf alle Fälle nächstliegende Vermutung müßte sein, daß selbst aus dem Zusammensturz einer Welt eine andere stiege, die von Anfang an in sich doch die alten Wirkungen nicht völlig verleugnete, sondern in ihrer Urveranlagung eine Stufe, sei es auch nur gering, höher darstellte, die rascher zum alten Ziel und also in ihrer Spanne noch darüber hinaus käme. Gerade die Liebe ist das wunderbarste Beispiel, wie Generationen in den Staub sinken und andere aus ihnen entstehen, die fast gleich sind, aber doch nicht ganz gleich -- und wie auf dieser kleinen Ungleichheit mit minimalem Plus die herrlichste Ent¬ wickelungslinie, die wir kennen, von der Urzelle zum Menschen, lückenlos heraufgekommen ist. Meinetwegen möchte die Welt im Ganzen auch solch eine Liebesleiter sein, fast Rad, aber doch stets mit einem kleinen Entwickelungsplus. Ewig würde auch so jeder von uns wiederkehren, aber nicht genau so zu sinnlosem Einerlei, sondern stets ein minimales Stückchen herauf¬ gerückt, weil die ganze Phase der Welt um so viel herauf ist. Das lohnte sich immerhin und so wäre die Radtheorie opti¬ mistisch noch nicht die übelste.
Aber alle diese Zukunftskonturen verschwimmen natur¬ gemäß sehr lose. Eigentlich beweisen läßt sich mit ihnen nirgendwo, also, wie gesagt, auch nicht kontra.
Der Pessimist sagt: all das frühere Elend wird auch durch noch so viel sonnige Zukunft nicht wett gemacht. Ich sage: wenn wir schon Zukunftsbehauptungen überhaupt einmal auf¬ stellen wollen: weßhalb nicht?
24*
in alle Zeiten und Räume hinein erhalten in Geſtalt beſtimmter Wirkungswellenkreiſe, die auf ein beſtimmtes, individualiſiertes Zentrum, eine urſprüngliche Konſtellation in alle Ewigkeit ein¬ geſtellt bleiben. Es iſt das die Thatſache, auf der Fechner ſeine großartige Unſterblichkeitslehre aufgebaut hat, die auf kein Titelchen vom naturwiſſenſchaftlichen Material verzichtet.
Gerade von dieſer Grundthatſache aus wird aber wieder jene Radtheorie mindeſtens ſo unwahrſcheinlich wie möglich. Die auf alle Fälle nächſtliegende Vermutung müßte ſein, daß ſelbſt aus dem Zuſammenſturz einer Welt eine andere ſtiege, die von Anfang an in ſich doch die alten Wirkungen nicht völlig verleugnete, ſondern in ihrer Urveranlagung eine Stufe, ſei es auch nur gering, höher darſtellte, die raſcher zum alten Ziel und alſo in ihrer Spanne noch darüber hinaus käme. Gerade die Liebe iſt das wunderbarſte Beiſpiel, wie Generationen in den Staub ſinken und andere aus ihnen entſtehen, die faſt gleich ſind, aber doch nicht ganz gleich — und wie auf dieſer kleinen Ungleichheit mit minimalem Plus die herrlichſte Ent¬ wickelungslinie, die wir kennen, von der Urzelle zum Menſchen, lückenlos heraufgekommen iſt. Meinetwegen möchte die Welt im Ganzen auch ſolch eine Liebesleiter ſein, faſt Rad, aber doch ſtets mit einem kleinen Entwickelungsplus. Ewig würde auch ſo jeder von uns wiederkehren, aber nicht genau ſo zu ſinnloſem Einerlei, ſondern ſtets ein minimales Stückchen herauf¬ gerückt, weil die ganze Phaſe der Welt um ſo viel herauf iſt. Das lohnte ſich immerhin und ſo wäre die Radtheorie opti¬ miſtiſch noch nicht die übelſte.
Aber alle dieſe Zukunftskonturen verſchwimmen natur¬ gemäß ſehr loſe. Eigentlich beweiſen läßt ſich mit ihnen nirgendwo, alſo, wie geſagt, auch nicht kontra.
Der Peſſimiſt ſagt: all das frühere Elend wird auch durch noch ſo viel ſonnige Zukunft nicht wett gemacht. Ich ſage: wenn wir ſchon Zukunftsbehauptungen überhaupt einmal auf¬ ſtellen wollen: weßhalb nicht?
24*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0385"n="371"/>
in alle Zeiten und Räume hinein erhalten in Geſtalt beſtimmter<lb/>
Wirkungswellenkreiſe, die auf ein beſtimmtes, individualiſiertes<lb/>
Zentrum, eine urſprüngliche Konſtellation in alle Ewigkeit ein¬<lb/>
geſtellt bleiben. Es iſt das die Thatſache, auf der Fechner<lb/>ſeine großartige Unſterblichkeitslehre aufgebaut hat, die auf<lb/>
kein Titelchen vom naturwiſſenſchaftlichen Material verzichtet.</p><lb/><p>Gerade von dieſer Grundthatſache aus wird aber wieder<lb/>
jene Radtheorie mindeſtens ſo unwahrſcheinlich wie möglich.<lb/>
Die auf alle Fälle nächſtliegende Vermutung müßte ſein, daß<lb/>ſelbſt aus dem Zuſammenſturz einer Welt eine andere ſtiege,<lb/>
die von Anfang an in ſich doch die alten Wirkungen nicht<lb/>
völlig verleugnete, ſondern in ihrer Urveranlagung eine Stufe,<lb/>ſei es auch nur gering, <hirendition="#g">höher</hi> darſtellte, die raſcher zum alten<lb/>
Ziel und alſo in ihrer Spanne noch darüber hinaus käme.<lb/>
Gerade die Liebe iſt das wunderbarſte Beiſpiel, wie Generationen<lb/>
in den Staub ſinken und andere aus ihnen entſtehen, die <hirendition="#g">faſt</hi><lb/>
gleich ſind, aber doch nicht <hirendition="#g">ganz</hi> gleich — und wie auf dieſer<lb/>
kleinen Ungleichheit mit minimalem Plus die herrlichſte Ent¬<lb/>
wickelungslinie, die wir kennen, von der Urzelle zum Menſchen,<lb/>
lückenlos heraufgekommen iſt. Meinetwegen möchte die Welt<lb/>
im Ganzen auch ſolch eine Liebesleiter ſein, faſt Rad, aber<lb/>
doch ſtets mit einem kleinen Entwickelungsplus. Ewig würde<lb/>
auch ſo jeder von uns wiederkehren, aber nicht genau ſo zu<lb/>ſinnloſem Einerlei, ſondern ſtets ein minimales Stückchen herauf¬<lb/>
gerückt, weil die ganze Phaſe der Welt um ſo viel herauf iſt.<lb/>
Das lohnte ſich immerhin und ſo wäre die Radtheorie opti¬<lb/>
miſtiſch noch nicht die übelſte.</p><lb/><p>Aber alle dieſe Zukunftskonturen verſchwimmen natur¬<lb/>
gemäß ſehr loſe. Eigentlich beweiſen läßt ſich mit ihnen<lb/>
nirgendwo, alſo, wie geſagt, auch nicht kontra.</p><lb/><p>Der Peſſimiſt ſagt: all das frühere Elend wird auch durch<lb/>
noch ſo viel ſonnige Zukunft nicht wett gemacht. Ich ſage:<lb/>
wenn wir ſchon Zukunftsbehauptungen überhaupt einmal auf¬<lb/>ſtellen wollen: weßhalb nicht?</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">24*<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[371/0385]
in alle Zeiten und Räume hinein erhalten in Geſtalt beſtimmter
Wirkungswellenkreiſe, die auf ein beſtimmtes, individualiſiertes
Zentrum, eine urſprüngliche Konſtellation in alle Ewigkeit ein¬
geſtellt bleiben. Es iſt das die Thatſache, auf der Fechner
ſeine großartige Unſterblichkeitslehre aufgebaut hat, die auf
kein Titelchen vom naturwiſſenſchaftlichen Material verzichtet.
Gerade von dieſer Grundthatſache aus wird aber wieder
jene Radtheorie mindeſtens ſo unwahrſcheinlich wie möglich.
Die auf alle Fälle nächſtliegende Vermutung müßte ſein, daß
ſelbſt aus dem Zuſammenſturz einer Welt eine andere ſtiege,
die von Anfang an in ſich doch die alten Wirkungen nicht
völlig verleugnete, ſondern in ihrer Urveranlagung eine Stufe,
ſei es auch nur gering, höher darſtellte, die raſcher zum alten
Ziel und alſo in ihrer Spanne noch darüber hinaus käme.
Gerade die Liebe iſt das wunderbarſte Beiſpiel, wie Generationen
in den Staub ſinken und andere aus ihnen entſtehen, die faſt
gleich ſind, aber doch nicht ganz gleich — und wie auf dieſer
kleinen Ungleichheit mit minimalem Plus die herrlichſte Ent¬
wickelungslinie, die wir kennen, von der Urzelle zum Menſchen,
lückenlos heraufgekommen iſt. Meinetwegen möchte die Welt
im Ganzen auch ſolch eine Liebesleiter ſein, faſt Rad, aber
doch ſtets mit einem kleinen Entwickelungsplus. Ewig würde
auch ſo jeder von uns wiederkehren, aber nicht genau ſo zu
ſinnloſem Einerlei, ſondern ſtets ein minimales Stückchen herauf¬
gerückt, weil die ganze Phaſe der Welt um ſo viel herauf iſt.
Das lohnte ſich immerhin und ſo wäre die Radtheorie opti¬
miſtiſch noch nicht die übelſte.
Aber alle dieſe Zukunftskonturen verſchwimmen natur¬
gemäß ſehr loſe. Eigentlich beweiſen läßt ſich mit ihnen
nirgendwo, alſo, wie geſagt, auch nicht kontra.
Der Peſſimiſt ſagt: all das frühere Elend wird auch durch
noch ſo viel ſonnige Zukunft nicht wett gemacht. Ich ſage:
wenn wir ſchon Zukunftsbehauptungen überhaupt einmal auf¬
ſtellen wollen: weßhalb nicht?
24*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/385>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.