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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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der Sonnenferne. Mit deinem Zurückdrehen kommst du aber
immer einmal wieder nach einer Kette von Jahrtausenden in
eine Periode, wo das umgekehrt ist eben wegen jenes Wechsels
der Achse. Jetzt scheint sich aber in ganz dicken Zeiträumen
auch die Ellipse der Erdbahn selbst zu strecken, -- bis auf
Gipfel, da die Erde in Sonnenferne sehr viel weiter vom
warmen Sonnenherde fortschwänzt als gegenwärtig. Soll
nun gerade auf einem solchen Pik die Nordhalbkugel der Erde
in dieser Sonnenferne (also umgekehrt wie heute) Winter gehabt
haben, so möchten das allen Ernstes fatale Winter, sozusagen
Winter im Quadrat oder Über-Winter geworden sein, -- in
Summa eine nordhälftliche Eiszeit. Das sollst du aber halten
wie du willst, denn diese astronomische Eiszeit-Erklärung ist
heute nur erst eine von vielen und die Gedankenspinne könnte
über kurz oder lang leicht noch eine weit bessere weben.

Bleiben wir also hübsch vorsichtig bloß bei der allgemeinen
Zeit. Du hast die Himmelsuhr ein paar mal zehntausend
Jahre rückgedreht -- und du steckst plötzlich im Eis. Die
Temperatur mindestens auf der Nordhalbkugel des alten Pla¬
neten ist auf einmal um ungefähr fünf bis sechs Grad im
Durchschnitt herabgeschraubt, -- einerlei nun, ob diese
Thermometerschraube mit deiner Achsenschraube am Polarstern
etwas zu thun hat oder nicht. Diese fünf oder sechs Grad
(mehr braucht's wirklich nicht) haben aber genügt, aus dem
Christkindchen im Schnee einen wahrhaft schauerlichen Eisriesen
zu machen, der zunächst mit den wuchtigsten Keulenschlägen
alles abzuhacken beginnt, was der Fleiß der Liebesgötter in
Jahrmillionen auf dem Nordfelde der Erde gepflanzt hatte.

Man mag sich wenden wie man will: man kommt nicht
um den Gedanken herum, daß dieses Nordfeld die eigentliche
Stätte war, wo das heilige Erdenkind, das Leben, seit un¬
denklichen Zeiten mit Liebe gehegt und verhätschelt worden war.

Ich weiß nicht, wie früh das angefangen hat. Laß die
großen Weltalter der Erdgeschichte bis zu einer gewissen Höhe

der Sonnenferne. Mit deinem Zurückdrehen kommſt du aber
immer einmal wieder nach einer Kette von Jahrtauſenden in
eine Periode, wo das umgekehrt iſt eben wegen jenes Wechſels
der Achſe. Jetzt ſcheint ſich aber in ganz dicken Zeiträumen
auch die Ellipſe der Erdbahn ſelbſt zu ſtrecken, — bis auf
Gipfel, da die Erde in Sonnenferne ſehr viel weiter vom
warmen Sonnenherde fortſchwänzt als gegenwärtig. Soll
nun gerade auf einem ſolchen Pik die Nordhalbkugel der Erde
in dieſer Sonnenferne (alſo umgekehrt wie heute) Winter gehabt
haben, ſo möchten das allen Ernſtes fatale Winter, ſozuſagen
Winter im Quadrat oder Über-Winter geworden ſein, — in
Summa eine nordhälftliche Eiszeit. Das ſollſt du aber halten
wie du willſt, denn dieſe aſtronomiſche Eiszeit-Erklärung iſt
heute nur erſt eine von vielen und die Gedankenſpinne könnte
über kurz oder lang leicht noch eine weit beſſere weben.

Bleiben wir alſo hübſch vorſichtig bloß bei der allgemeinen
Zeit. Du haſt die Himmelsuhr ein paar mal zehntauſend
Jahre rückgedreht — und du ſteckſt plötzlich im Eis. Die
Temperatur mindeſtens auf der Nordhalbkugel des alten Pla¬
neten iſt auf einmal um ungefähr fünf bis ſechs Grad im
Durchſchnitt herabgeſchraubt, — einerlei nun, ob dieſe
Thermometerſchraube mit deiner Achſenſchraube am Polarſtern
etwas zu thun hat oder nicht. Dieſe fünf oder ſechs Grad
(mehr braucht's wirklich nicht) haben aber genügt, aus dem
Chriſtkindchen im Schnee einen wahrhaft ſchauerlichen Eisrieſen
zu machen, der zunächſt mit den wuchtigſten Keulenſchlägen
alles abzuhacken beginnt, was der Fleiß der Liebesgötter in
Jahrmillionen auf dem Nordfelde der Erde gepflanzt hatte.

Man mag ſich wenden wie man will: man kommt nicht
um den Gedanken herum, daß dieſes Nordfeld die eigentliche
Stätte war, wo das heilige Erdenkind, das Leben, ſeit un¬
denklichen Zeiten mit Liebe gehegt und verhätſchelt worden war.

Ich weiß nicht, wie früh das angefangen hat. Laß die
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[42/0056] der Sonnenferne. Mit deinem Zurückdrehen kommſt du aber immer einmal wieder nach einer Kette von Jahrtauſenden in eine Periode, wo das umgekehrt iſt eben wegen jenes Wechſels der Achſe. Jetzt ſcheint ſich aber in ganz dicken Zeiträumen auch die Ellipſe der Erdbahn ſelbſt zu ſtrecken, — bis auf Gipfel, da die Erde in Sonnenferne ſehr viel weiter vom warmen Sonnenherde fortſchwänzt als gegenwärtig. Soll nun gerade auf einem ſolchen Pik die Nordhalbkugel der Erde in dieſer Sonnenferne (alſo umgekehrt wie heute) Winter gehabt haben, ſo möchten das allen Ernſtes fatale Winter, ſozuſagen Winter im Quadrat oder Über-Winter geworden ſein, — in Summa eine nordhälftliche Eiszeit. Das ſollſt du aber halten wie du willſt, denn dieſe aſtronomiſche Eiszeit-Erklärung iſt heute nur erſt eine von vielen und die Gedankenſpinne könnte über kurz oder lang leicht noch eine weit beſſere weben. Bleiben wir alſo hübſch vorſichtig bloß bei der allgemeinen Zeit. Du haſt die Himmelsuhr ein paar mal zehntauſend Jahre rückgedreht — und du ſteckſt plötzlich im Eis. Die Temperatur mindeſtens auf der Nordhalbkugel des alten Pla¬ neten iſt auf einmal um ungefähr fünf bis ſechs Grad im Durchſchnitt herabgeſchraubt, — einerlei nun, ob dieſe Thermometerſchraube mit deiner Achſenſchraube am Polarſtern etwas zu thun hat oder nicht. Dieſe fünf oder ſechs Grad (mehr braucht's wirklich nicht) haben aber genügt, aus dem Chriſtkindchen im Schnee einen wahrhaft ſchauerlichen Eisrieſen zu machen, der zunächſt mit den wuchtigſten Keulenſchlägen alles abzuhacken beginnt, was der Fleiß der Liebesgötter in Jahrmillionen auf dem Nordfelde der Erde gepflanzt hatte. Man mag ſich wenden wie man will: man kommt nicht um den Gedanken herum, daß dieſes Nordfeld die eigentliche Stätte war, wo das heilige Erdenkind, das Leben, ſeit un¬ denklichen Zeiten mit Liebe gehegt und verhätſchelt worden war. Ich weiß nicht, wie früh das angefangen hat. Laß die großen Weltalter der Erdgeſchichte bis zu einer gewiſſen Höhe

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/56>, abgerufen am 21.11.2024.