Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

und die komischen Scenen jenes Abends in den Tui¬
lerien! Wie die heißesten Bourbonisten, als Napo¬
leon kam, schnell die weiße Kokarde abnahmen und
sie in die linke Westentasche steckten und aus der
rechten eine dreifarbige zogen, die sie für jedes Er¬
eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine
dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimsten
Kehlen Vive l'Empereur! schrien. Es war schön
und lehrreich.

Jetzt die Hauptsache. Eine Deputation der
Pairskammer erscheint vor dem wiederaufgegangenen
Napoleon. Der schnauzt sie grimmig an, denn sie
waren es, die ihn verrathen. Wo sind die Depu¬
tirten? schreit er mit einer Löwenstimme. "La
chambre des Deputes s'est rendu indigne de la
France"
... Götter! und wenn in diesem Augen¬
blicke tausend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht
gehört worden, vor dem Beifallklatschen des ganzen
Hauses. Es war ein Sturm, es war als stürzte
das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die
jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬
sen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die
jetzige Deputirtenkammer. In den ersten Reihen
des Parterres saßen die Schüler der polytechnischen
Schule. Wenn diesen nicht die Hände bluteten,
müssen sie lederne Hände haben. Aber -- ich habe

und die komiſchen Scenen jenes Abends in den Tui¬
lerien! Wie die heißeſten Bourboniſten, als Napo¬
leon kam, ſchnell die weiße Kokarde abnahmen und
ſie in die linke Weſtentaſche ſteckten und aus der
rechten eine dreifarbige zogen, die ſie für jedes Er¬
eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine
dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimſten
Kehlen Vive l'Empereur! ſchrien. Es war ſchön
und lehrreich.

Jetzt die Hauptſache. Eine Deputation der
Pairskammer erſcheint vor dem wiederaufgegangenen
Napoleon. Der ſchnauzt ſie grimmig an, denn ſie
waren es, die ihn verrathen. Wo ſind die Depu¬
tirten? ſchreit er mit einer Löwenſtimme. „La
chambre des Députés s'est rendu indigne de la
France“
... Götter! und wenn in dieſem Augen¬
blicke tauſend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht
gehört worden, vor dem Beifallklatſchen des ganzen
Hauſes. Es war ein Sturm, es war als ſtürzte
das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die
jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬
ſen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die
jetzige Deputirtenkammer. In den erſten Reihen
des Parterres ſaßen die Schüler der polytechniſchen
Schule. Wenn dieſen nicht die Hände bluteten,
müſſen ſie lederne Hände haben. Aber — ich habe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="189"/>
und die komi&#x017F;chen Scenen jenes Abends in den Tui¬<lb/>
lerien! Wie die heiße&#x017F;ten Bourboni&#x017F;ten, als Napo¬<lb/>
leon kam, &#x017F;chnell die weiße Kokarde abnahmen und<lb/>
&#x017F;ie in die linke We&#x017F;tenta&#x017F;che &#x017F;teckten und aus der<lb/>
rechten eine dreifarbige zogen, die &#x017F;ie für jedes Er¬<lb/>
eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine<lb/>
dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitim&#x017F;ten<lb/>
Kehlen <hi rendition="#aq">Vive l'Empereur</hi>! &#x017F;chrien. Es war &#x017F;chön<lb/>
und lehrreich.</p><lb/>
          <p>Jetzt die Haupt&#x017F;ache. Eine Deputation der<lb/>
Pairskammer er&#x017F;cheint vor dem wiederaufgegangenen<lb/>
Napoleon. Der &#x017F;chnauzt &#x017F;ie grimmig an, denn &#x017F;ie<lb/>
waren es, die ihn verrathen. Wo &#x017F;ind die Depu¬<lb/>
tirten? &#x017F;chreit er mit einer Löwen&#x017F;timme. <hi rendition="#aq">&#x201E;La<lb/>
chambre des Députés s'est rendu indigne de la<lb/>
France&#x201C;</hi> ... Götter! und wenn in die&#x017F;em Augen¬<lb/>
blicke tau&#x017F;end Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht<lb/>
gehört worden, vor dem Beifallklat&#x017F;chen des ganzen<lb/>
Hau&#x017F;es. Es war ein Sturm, es war als &#x017F;türzte<lb/>
das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die<lb/>
jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬<lb/>
&#x017F;en zieht: der Haß und die Verachtung gegen die<lb/>
jetzige Deputirtenkammer. In den er&#x017F;ten Reihen<lb/>
des Parterres &#x017F;aßen die Schüler der polytechni&#x017F;chen<lb/>
Schule. Wenn die&#x017F;en nicht die Hände bluteten,<lb/>&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie lederne Hände haben. Aber &#x2014; ich habe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0203] und die komiſchen Scenen jenes Abends in den Tui¬ lerien! Wie die heißeſten Bourboniſten, als Napo¬ leon kam, ſchnell die weiße Kokarde abnahmen und ſie in die linke Weſtentaſche ſteckten und aus der rechten eine dreifarbige zogen, die ſie für jedes Er¬ eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimſten Kehlen Vive l'Empereur! ſchrien. Es war ſchön und lehrreich. Jetzt die Hauptſache. Eine Deputation der Pairskammer erſcheint vor dem wiederaufgegangenen Napoleon. Der ſchnauzt ſie grimmig an, denn ſie waren es, die ihn verrathen. Wo ſind die Depu¬ tirten? ſchreit er mit einer Löwenſtimme. „La chambre des Députés s'est rendu indigne de la France“ ... Götter! und wenn in dieſem Augen¬ blicke tauſend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht gehört worden, vor dem Beifallklatſchen des ganzen Hauſes. Es war ein Sturm, es war als ſtürzte das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬ ſen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die jetzige Deputirtenkammer. In den erſten Reihen des Parterres ſaßen die Schüler der polytechniſchen Schule. Wenn dieſen nicht die Hände bluteten, müſſen ſie lederne Hände haben. Aber — ich habe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/203
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/203>, abgerufen am 22.12.2024.