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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände
sich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬
zessin, die mich auf solche Weise beschäftigte und be¬
zahlte. Ich beneide den Grimm um diese Stellung.
Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬
sern Schriftstellern? Den besten Theil verschlingen
die Grundsteuern und Zehenten der Censur vorweg,
und für das Uebrige wenig Geld und späten Beifall,
der uns kalt und abgestanden zukommt. Grimm
war auch eine Zeitlang Frankfurter Gesandte mit
24,000 Franken Gehalt.

Die kindische Regierung hier hat wieder ein
großes Stück Freiheit abgebissen; denn sie kommt
mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der
Hand trägt, den es sich vorgenommen, auf später zu
verwahren. Erst leckt es daran, seine Enthaltsamkeit
zu prüfen; dann schält es ihn etwas dick mit den
Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es
ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom
ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬
tion hat sich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬
nommen. Die Regierung sah dieses als eine Sache
an, die sich von selbst verstände. Nun ist es seitdem
geschehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, so
viel Geld als möglich zu verdienen, als die beste
angesehen haben. Um die Leute anzulocken, spielen
sie die Geschichten gleichzeitiger Personen. Napoleon,

Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände
ſich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬
zeſſin, die mich auf ſolche Weiſe beſchäftigte und be¬
zahlte. Ich beneide den Grimm um dieſe Stellung.
Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬
ſern Schriftſtellern? Den beſten Theil verſchlingen
die Grundſteuern und Zehenten der Cenſur vorweg,
und für das Uebrige wenig Geld und ſpäten Beifall,
der uns kalt und abgeſtanden zukommt. Grimm
war auch eine Zeitlang Frankfurter Geſandte mit
24,000 Franken Gehalt.

Die kindiſche Regierung hier hat wieder ein
großes Stück Freiheit abgebiſſen; denn ſie kommt
mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der
Hand trägt, den es ſich vorgenommen, auf ſpäter zu
verwahren. Erſt leckt es daran, ſeine Enthaltſamkeit
zu prüfen; dann ſchält es ihn etwas dick mit den
Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es
ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom
ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬
tion hat ſich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬
nommen. Die Regierung ſah dieſes als eine Sache
an, die ſich von ſelbſt verſtände. Nun iſt es ſeitdem
geſchehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, ſo
viel Geld als möglich zu verdienen, als die beſte
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ſie die Geſchichten gleichzeitiger Perſonen. Napoleon,

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[214/0228] Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände ſich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬ zeſſin, die mich auf ſolche Weiſe beſchäftigte und be¬ zahlte. Ich beneide den Grimm um dieſe Stellung. Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬ ſern Schriftſtellern? Den beſten Theil verſchlingen die Grundſteuern und Zehenten der Cenſur vorweg, und für das Uebrige wenig Geld und ſpäten Beifall, der uns kalt und abgeſtanden zukommt. Grimm war auch eine Zeitlang Frankfurter Geſandte mit 24,000 Franken Gehalt. Die kindiſche Regierung hier hat wieder ein großes Stück Freiheit abgebiſſen; denn ſie kommt mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der Hand trägt, den es ſich vorgenommen, auf ſpäter zu verwahren. Erſt leckt es daran, ſeine Enthaltſamkeit zu prüfen; dann ſchält es ihn etwas dick mit den Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬ tion hat ſich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬ nommen. Die Regierung ſah dieſes als eine Sache an, die ſich von ſelbſt verſtände. Nun iſt es ſeitdem geſchehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, ſo viel Geld als möglich zu verdienen, als die beſte angeſehen haben. Um die Leute anzulocken, ſpielen ſie die Geſchichten gleichzeitiger Perſonen. Napoleon,

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/228>, abgerufen am 17.05.2024.