Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

nennt aber ein Franzose nicht erobern, sondern seine
natürliche Grenze wieder bekommen. Und so werden
sie nächstens das süße Belgien anschneiden, und den
Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr
bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous
ne la craignons pas
-- Das heißt: wir lieben
den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet,
weil wir noch nicht gerüstet waren.

Die Ordnung auf dem Balle war musterhaft,
es war ein Meisterstück von Polizei. Es waren so¬
gar zwei allerliebste kleine Feldspitäler eingerichtet,
bestimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter
Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte
Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, frisches Was¬
ser, alle möglichen Salze und riechenden Sachen,
Scheeren zum Aufschneiden der Corsetts, Essig, Ci¬
tronen, kurz alles, was man braucht, um Weiber
wieder zur Besinnung zu bringen. In jedem Spi¬
tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬
len Geheimnissen weiblicher Ohnmacht; draußen ein
Thürsteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld
gesehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen
Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis
Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wissen sollen,
daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬
macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬

15 *

nennt aber ein Franzoſe nicht erobern, ſondern ſeine
natürliche Grenze wieder bekommen. Und ſo werden
ſie nächſtens das ſüße Belgien anſchneiden, und den
Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr
bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous
ne la craignons pas
— Das heißt: wir lieben
den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet,
weil wir noch nicht gerüſtet waren.

Die Ordnung auf dem Balle war muſterhaft,
es war ein Meiſterſtück von Polizei. Es waren ſo¬
gar zwei allerliebſte kleine Feldſpitäler eingerichtet,
beſtimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter
Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte
Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, friſches Waſ¬
ſer, alle möglichen Salze und riechenden Sachen,
Scheeren zum Aufſchneiden der Corſetts, Eſſig, Ci¬
tronen, kurz alles, was man braucht, um Weiber
wieder zur Beſinnung zu bringen. In jedem Spi¬
tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬
len Geheimniſſen weiblicher Ohnmacht; draußen ein
Thürſteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld
geſehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen
Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis
Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wiſſen ſollen,
daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬
macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬

15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0241" n="227"/>
nennt aber ein Franzo&#x017F;e nicht erobern, &#x017F;ondern &#x017F;eine<lb/>
natürliche Grenze wieder bekommen. Und &#x017F;o werden<lb/>
&#x017F;ie näch&#x017F;tens das &#x017F;üße Belgien an&#x017F;chneiden, und den<lb/>
Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr<lb/>
bald! <hi rendition="#aq">nous n'aimons pas la guerre, mais nous<lb/>
ne la craignons pas</hi> &#x2014; Das heißt: wir lieben<lb/>
den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet,<lb/>
weil wir noch nicht gerü&#x017F;tet waren.</p><lb/>
          <p>Die Ordnung auf dem Balle war mu&#x017F;terhaft,<lb/>
es war ein Mei&#x017F;ter&#x017F;tück von Polizei. Es waren &#x017F;<lb/>
gar zwei allerlieb&#x017F;te kleine Feld&#x017F;pitäler eingerichtet,<lb/>
be&#x017F;timmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter<lb/>
Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte<lb/>
Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, fri&#x017F;ches Wa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er, alle möglichen Salze und riechenden Sachen,<lb/>
Scheeren zum Auf&#x017F;chneiden der Cor&#x017F;etts, E&#x017F;&#x017F;ig, Ci¬<lb/>
tronen, kurz alles, <choice><sic>mas</sic><corr>was</corr></choice> man braucht, um Weiber<lb/>
wieder zur Be&#x017F;innung zu bringen. In jedem Spi¬<lb/>
tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬<lb/>
len Geheimni&#x017F;&#x017F;en weiblicher Ohnmacht; draußen ein<lb/>
Thür&#x017F;teher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld<lb/>
ge&#x017F;ehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen<lb/>
Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis<lb/>
Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen,<lb/>
daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬<lb/>
macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0241] nennt aber ein Franzoſe nicht erobern, ſondern ſeine natürliche Grenze wieder bekommen. Und ſo werden ſie nächſtens das ſüße Belgien anſchneiden, und den Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous ne la craignons pas — Das heißt: wir lieben den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet, weil wir noch nicht gerüſtet waren. Die Ordnung auf dem Balle war muſterhaft, es war ein Meiſterſtück von Polizei. Es waren ſo¬ gar zwei allerliebſte kleine Feldſpitäler eingerichtet, beſtimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, friſches Waſ¬ ſer, alle möglichen Salze und riechenden Sachen, Scheeren zum Aufſchneiden der Corſetts, Eſſig, Ci¬ tronen, kurz alles, was man braucht, um Weiber wieder zur Beſinnung zu bringen. In jedem Spi¬ tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬ len Geheimniſſen weiblicher Ohnmacht; draußen ein Thürſteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld geſehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wiſſen ſollen, daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬ macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬ 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/241
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/241>, abgerufen am 22.12.2024.