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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre
die schönste Promenade Frankreichs. Ferner: in der
Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einst
Attila von den Römern und Franken besiegt worden.
Das hätte ich nun alles sehen mögen, war aber
jetzt so schwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es
war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬
über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die
Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von
Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte
mich unbehaglich, scheute die Nachtfahrt und faßte
den rasenden Entschluß mich nur bis Dormans, wo
man Abends ankömmt, einschreiben zu lassen und da
zu übernachten. So that ich es auch.

Meine Gefährten im Coupe waren eine junge
schöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬
riodische Kunstreise nach Paris machte, und ein schon
ältlicher Herr, der, nach seiner dunklen Kleidung und
der Aengstlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die
kleinste schiefe Neigung des Wagens versetzte, wohl
ein protestantischer Pfarrer oder Schulmann war.
Diese beiden Personen von so ungleichem Alter und
Gewerbe unterhielten sich, ohne die kleinsten Pausen,
auf das lebhafteste mit einander; aber ich achtete
nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe.
In früheren Jahren war mir jede Reise ein Mas¬
kenballfest der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten

Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre
die ſchönſte Promenade Frankreichs. Ferner: in der
Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einſt
Attila von den Römern und Franken beſiegt worden.
Das hätte ich nun alles ſehen mögen, war aber
jetzt ſo ſchwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es
war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬
über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die
Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von
Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte
mich unbehaglich, ſcheute die Nachtfahrt und faßte
den raſenden Entſchluß mich nur bis Dormans, wo
man Abends ankömmt, einſchreiben zu laſſen und da
zu übernachten. So that ich es auch.

Meine Gefährten im Coupe waren eine junge
ſchöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬
riodiſche Kunſtreiſe nach Paris machte, und ein ſchon
ältlicher Herr, der, nach ſeiner dunklen Kleidung und
der Aengſtlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die
kleinſte ſchiefe Neigung des Wagens verſetzte, wohl
ein proteſtantiſcher Pfarrer oder Schulmann war.
Dieſe beiden Perſonen von ſo ungleichem Alter und
Gewerbe unterhielten ſich, ohne die kleinſten Pauſen,
auf das lebhafteſte mit einander; aber ich achtete
nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe.
In früheren Jahren war mir jede Reiſe ein Mas¬
kenballfeſt der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten

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[21/0035] Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre die ſchönſte Promenade Frankreichs. Ferner: in der Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einſt Attila von den Römern und Franken beſiegt worden. Das hätte ich nun alles ſehen mögen, war aber jetzt ſo ſchwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬ über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte mich unbehaglich, ſcheute die Nachtfahrt und faßte den raſenden Entſchluß mich nur bis Dormans, wo man Abends ankömmt, einſchreiben zu laſſen und da zu übernachten. So that ich es auch. Meine Gefährten im Coupe waren eine junge ſchöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬ riodiſche Kunſtreiſe nach Paris machte, und ein ſchon ältlicher Herr, der, nach ſeiner dunklen Kleidung und der Aengſtlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die kleinſte ſchiefe Neigung des Wagens verſetzte, wohl ein proteſtantiſcher Pfarrer oder Schulmann war. Dieſe beiden Perſonen von ſo ungleichem Alter und Gewerbe unterhielten ſich, ohne die kleinſten Pauſen, auf das lebhafteſte mit einander; aber ich achtete nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe. In früheren Jahren war mir jede Reiſe ein Mas¬ kenballfeſt der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/35>, abgerufen am 22.12.2024.