Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.Zeit, Bewunderung, alles ist verblichen. Es ließ Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0106" n="92"/> Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ<lb/> mich ſo kalt, als ſähe ich eine <choice><sic>Abbildnng</sic><corr>Abbildung</corr></choice> von der<lb/> Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬<lb/> gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬<lb/> ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon<lb/> ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es<lb/> iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde<lb/> iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen<lb/> Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet.<lb/> Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬<lb/> größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo<lb/> Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone<lb/> aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte,<lb/> nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm,<lb/> noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines<lb/> markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen<lb/> und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres,<lb/> als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von<lb/> einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel<lb/> darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt<lb/> es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬<lb/> ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der<lb/> Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬<lb/> len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen,<lb/> nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der<lb/> Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war<lb/> anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0106]
Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ
mich ſo kalt, als ſähe ich eine Abbildung von der
Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬
gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬
ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon
ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es
iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde
iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen
Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet.
Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬
größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo
Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone
aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte,
nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm,
noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines
markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen
und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres,
als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von
einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel
darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt
es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬
ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der
Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬
len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen,
nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der
Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war
anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬
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