dieses einzigen Briefes zum Tode verurtheilt. Aber vor diesem Spruche, nachdem er gefällt, entsetzten sich die Richter selbst, und verwandelten die Todesstrafe in zwanzigjähriges hartes Gefängniß. Herr von Maronelli wird mit vier seiner Freunde nach der Festung Brünn geführt, wo zwanzig andere italienische Patrioten ihnen bald nachkommen. Das Gefängniß ist voll gepfroft, und man entscheidet, daß der jüngste in den Keller geworfen werden soll. Hier, auf feuch¬ ter Erde, bringt Maronelli, einsam, ohne Verbindung mit irgend einem Menschen, ein ganzes Jahr zu. -- Er war dem Tode nahe, als ein anderer Verurtheil¬ ter, der sein Kerkerloch mit einem Leidensgenossen theilte, starb. Maronelli kommt an seinen Platz. Er hat endlich einen Freund zur Seite; aber seine physischen Leiden haben nicht aufgehört. Eine Eis¬ kälte durchdringt ihn; eine eckelhafte Nahrung richtet seine Gesundtheit vollends zu Grunde; seine Glieder werden steif; sein linkes Bein, durch den schweren Ring, der zwanzigpfündige Ketten zusammenhält, eng umschnürt, schwillt auf eine fürchterliche Weise auf; bald zeigt sich der Brand, man muß das Bein ab¬ schneiden! Aber der Gouverneur sagt kalt, indem er das kranke Bein, dessen geschwollenes Fleisch den eisernen Ring ganz bedeckte, nachlässig in der Hand wiegt: man hat uns einen Gefangenen mit zwei Beinen geschickt, wir können ihn nicht mit einem
dieſes einzigen Briefes zum Tode verurtheilt. Aber vor dieſem Spruche, nachdem er gefällt, entſetzten ſich die Richter ſelbſt, und verwandelten die Todesſtrafe in zwanzigjähriges hartes Gefängniß. Herr von Maronelli wird mit vier ſeiner Freunde nach der Feſtung Brünn geführt, wo zwanzig andere italieniſche Patrioten ihnen bald nachkommen. Das Gefängniß iſt voll gepfroft, und man entſcheidet, daß der jüngſte in den Keller geworfen werden ſoll. Hier, auf feuch¬ ter Erde, bringt Maronelli, einſam, ohne Verbindung mit irgend einem Menſchen, ein ganzes Jahr zu. — Er war dem Tode nahe, als ein anderer Verurtheil¬ ter, der ſein Kerkerloch mit einem Leidensgenoſſen theilte, ſtarb. Maronelli kommt an ſeinen Platz. Er hat endlich einen Freund zur Seite; aber ſeine phyſiſchen Leiden haben nicht aufgehört. Eine Eis¬ kälte durchdringt ihn; eine eckelhafte Nahrung richtet ſeine Geſundtheit vollends zu Grunde; ſeine Glieder werden ſteif; ſein linkes Bein, durch den ſchweren Ring, der zwanzigpfündige Ketten zuſammenhält, eng umſchnürt, ſchwillt auf eine fürchterliche Weiſe auf; bald zeigt ſich der Brand, man muß das Bein ab¬ ſchneiden! Aber der Gouverneur ſagt kalt, indem er das kranke Bein, deſſen geſchwollenes Fleiſch den eiſernen Ring ganz bedeckte, nachläſſig in der Hand wiegt: man hat uns einen Gefangenen mit zwei Beinen geſchickt, wir können ihn nicht mit einem
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[108/0122]
dieſes einzigen Briefes zum Tode verurtheilt. Aber
vor dieſem Spruche, nachdem er gefällt, entſetzten ſich
die Richter ſelbſt, und verwandelten die Todesſtrafe
in zwanzigjähriges hartes Gefängniß. Herr von
Maronelli wird mit vier ſeiner Freunde nach der
Feſtung Brünn geführt, wo zwanzig andere italieniſche
Patrioten ihnen bald nachkommen. Das Gefängniß
iſt voll gepfroft, und man entſcheidet, daß der jüngſte
in den Keller geworfen werden ſoll. Hier, auf feuch¬
ter Erde, bringt Maronelli, einſam, ohne Verbindung
mit irgend einem Menſchen, ein ganzes Jahr zu. —
Er war dem Tode nahe, als ein anderer Verurtheil¬
ter, der ſein Kerkerloch mit einem Leidensgenoſſen
theilte, ſtarb. Maronelli kommt an ſeinen Platz.
Er hat endlich einen Freund zur Seite; aber ſeine
phyſiſchen Leiden haben nicht aufgehört. Eine Eis¬
kälte durchdringt ihn; eine eckelhafte Nahrung richtet
ſeine Geſundtheit vollends zu Grunde; ſeine Glieder
werden ſteif; ſein linkes Bein, durch den ſchweren
Ring, der zwanzigpfündige Ketten zuſammenhält, eng
umſchnürt, ſchwillt auf eine fürchterliche Weiſe auf;
bald zeigt ſich der Brand, man muß das Bein ab¬
ſchneiden! Aber der Gouverneur ſagt kalt, indem
er das kranke Bein, deſſen geſchwollenes Fleiſch den
eiſernen Ring ganz bedeckte, nachläſſig in der Hand
wiegt: man hat uns einen Gefangenen mit zwei
Beinen geſchickt, wir können ihn nicht mit einem
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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