Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Vierzigster Brief.

Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich
wollte ein Freudenlied singen, daß Berge und Wäl¬
der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne
darüber weinen müßten und erlöschten in ihren eige¬
nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will
sich nicht gestalten. Nur prosaisch kann ich jubeln ...
heute ist heute und morgen ist morgen; ich will nicht
weiter denken. Alles Gute und Schöne hat sich be¬
stätigt, aber das Beste und Schönste ist noch nicht
entschieden. Ein Handelshaus erhielt gestern die
Nachricht: die Russen wären gänzlich zerstreut, und,
was Alles entscheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬
thauen aufgestanden. Aber das heutige ministerielle
Blatt berichtet, die Regierung habe gleich spätere
Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und diese, ob¬
zwar gut lautend, sprächen noch von keiner Entschei¬

Vierzigſter Brief.

Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich
wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬
der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne
darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬
nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will
ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ...
heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht
weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬
ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht
entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die
Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und,
was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬
thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle
Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere
Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬
zwar gut lautend, ſprächen noch von keiner Entſchei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0135" n="[121]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Vierzig&#x017F;ter Brief.</hi><lb/>
          </head>
          <dateline> <hi rendition="#right">Paris, Sonntag, den 6. März. 1831.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich<lb/>
wollte ein Freudenlied &#x017F;ingen, daß Berge und Wäl¬<lb/>
der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne<lb/>
darüber weinen müßten und erlö&#x017F;chten in ihren eige¬<lb/>
nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will<lb/>
&#x017F;ich nicht ge&#x017F;talten. Nur pro&#x017F;ai&#x017F;ch kann ich jubeln ...<lb/>
heute i&#x017F;t heute und morgen i&#x017F;t morgen; ich will nicht<lb/>
weiter denken. Alles Gute und Schöne hat &#x017F;ich be¬<lb/>
&#x017F;tätigt, aber das Be&#x017F;te und Schön&#x017F;te i&#x017F;t noch nicht<lb/>
ent&#x017F;chieden. Ein Handelshaus erhielt ge&#x017F;tern die<lb/>
Nachricht: die Ru&#x017F;&#x017F;en wären gänzlich zer&#x017F;treut, und,<lb/>
was Alles ent&#x017F;cheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬<lb/>
thauen aufge&#x017F;tanden. Aber das heutige mini&#x017F;terielle<lb/>
Blatt berichtet, die Regierung habe gleich &#x017F;pätere<lb/>
Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und die&#x017F;e, ob¬<lb/>
zwar gut lautend, &#x017F;prächen noch von keiner Ent&#x017F;chei¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[121]/0135] Vierzigſter Brief. Paris, Sonntag, den 6. März. 1831. Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬ der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬ nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ... heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬ ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und, was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬ thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬ zwar gut lautend, ſprächen noch von keiner Entſchei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/135
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. [121]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/135>, abgerufen am 21.11.2024.