Wein aus einem breiten Glase getrunken! Langsa¬ men rothen Wein, wenn man den Teufel erwartet! Jeder dumme arme Sünder, ehe er zum Galgen ge¬ führt wird, trinkt wenigstens Rum. Ein Bekannter, der während der Vorstellung hinter der Scene war, erzählte mir, die Malibran hätte nach ihrem Abtre¬ ten geweint, weil sie nicht genug applaudirt worden, und sie weine immer, wenn sie kälter als gewöhnlich aufgenommen wird. Das ist gewiß eine schöne Em¬ pfindlichkeit an einer so großen Künstlerin.
Verdrießlich war ich ohnedies während der zwei¬ ten Hälfte des Don Juan, und die heilige Cäcilie selbst mit ihrer Baßgeige hätte mich nicht aufheitern können. Nach dem ersten Akte ging ich ins Foyer. Da fand ich eine Menge Menschen in einem dicken Knäuel zusammengewickelt, und ein kurzes Männchen in der Mitte, rund wie ein Kern, erzählte von den polnischen Angelegenheiten in der Abendzeitung. Und der Knäuel war so dick, daß ich nicht durchdringen konnte, und ich hörte nichts, und mußte mit der Pein der Ungewißheit wieder herunter gehen. Mein Nach¬ bar im Orchester, still früher, fragte mich auf Deutsch: nicht wahr Sie sind ein Deutscher? -- Ja. -- Aus Frankfurt? -- Ja, woher wissen Sie das? -- Ich dachte es mir. -- Kennen Sie Herrn Worms de
Wein aus einem breiten Glaſe getrunken! Langſa¬ men rothen Wein, wenn man den Teufel erwartet! Jeder dumme arme Sünder, ehe er zum Galgen ge¬ führt wird, trinkt wenigſtens Rum. Ein Bekannter, der während der Vorſtellung hinter der Scene war, erzählte mir, die Malibran hätte nach ihrem Abtre¬ ten geweint, weil ſie nicht genug applaudirt worden, und ſie weine immer, wenn ſie kälter als gewöhnlich aufgenommen wird. Das iſt gewiß eine ſchöne Em¬ pfindlichkeit an einer ſo großen Künſtlerin.
Verdrießlich war ich ohnedies während der zwei¬ ten Hälfte des Don Juan, und die heilige Cäcilie ſelbſt mit ihrer Baßgeige hätte mich nicht aufheitern können. Nach dem erſten Akte ging ich ins Foyer. Da fand ich eine Menge Menſchen in einem dicken Knäuel zuſammengewickelt, und ein kurzes Männchen in der Mitte, rund wie ein Kern, erzählte von den polniſchen Angelegenheiten in der Abendzeitung. Und der Knäuel war ſo dick, daß ich nicht durchdringen konnte, und ich hörte nichts, und mußte mit der Pein der Ungewißheit wieder herunter gehen. Mein Nach¬ bar im Orcheſter, ſtill früher, fragte mich auf Deutſch: nicht wahr Sie ſind ein Deutſcher? — Ja. — Aus Frankfurt? — Ja, woher wiſſen Sie das? — Ich dachte es mir. — Kennen Sie Herrn Worms de
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Wein aus einem breiten Glaſe getrunken! Langſa¬
men rothen Wein, wenn man den Teufel erwartet!
Jeder dumme arme Sünder, ehe er zum Galgen ge¬
führt wird, trinkt wenigſtens Rum. Ein Bekannter,
der während der Vorſtellung hinter der Scene war,
erzählte mir, die Malibran hätte nach ihrem Abtre¬
ten geweint, weil ſie nicht genug applaudirt worden,
und ſie weine immer, wenn ſie kälter als gewöhnlich
aufgenommen wird. Das iſt gewiß eine ſchöne Em¬
pfindlichkeit an einer ſo großen Künſtlerin.
Verdrießlich war ich ohnedies während der zwei¬
ten Hälfte des Don Juan, und die heilige Cäcilie
ſelbſt mit ihrer Baßgeige hätte mich nicht aufheitern
können. Nach dem erſten Akte ging ich ins Foyer.
Da fand ich eine Menge Menſchen in einem dicken
Knäuel zuſammengewickelt, und ein kurzes Männchen
in der Mitte, rund wie ein Kern, erzählte von den
polniſchen Angelegenheiten in der Abendzeitung. Und
der Knäuel war ſo dick, daß ich nicht durchdringen
konnte, und ich hörte nichts, und mußte mit der Pein
der Ungewißheit wieder herunter gehen. Mein Nach¬
bar im Orcheſter, ſtill früher, fragte mich auf Deutſch:
nicht wahr Sie ſind ein Deutſcher? — Ja. — Aus
Frankfurt? — Ja, woher wiſſen Sie das? — Ich
dachte es mir. — Kennen Sie Herrn Worms de
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/140>, abgerufen am 16.02.2025.
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