Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.daß ein Frauenzimmer diese Musik gemacht, und wenn Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen daß ein Frauenzimmer dieſe Muſik gemacht, und wenn Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="141"/> daß ein Frauenzimmer dieſe Muſik gemacht, und wenn<lb/> im Orcheſter Hörner und Pauken mächtig erſchallten,<lb/> mußte ich jedesmal lachen. Den Text hat ſie ſich<lb/> auch ſelbſt zugerichtet. Man muß das freilich nicht<lb/> ſo genau nehmen; aber komiſch iſt es doch, wenn<lb/> Gretchen noch um 9 Uhr unſchuldige Jungfrau war,<lb/> und ſchon um 11 Uhr als Kindesmörderin im Ge¬<lb/> fängniß ſitzt; das iſt zum Leſen aber nicht zum Dar¬<lb/> ſtellen.</p><lb/> <p>Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen<lb/> Wochen, die ich noch hier bleibe, alle Theater zu<lb/> beſuchen, von welchen ich mehrere noch gar nicht<lb/> kenne, und alle Stücke zu ſehen, die dieſen Winter<lb/> neu verfertigt worden. Aber ich werde hingehen,<lb/> ſchlenkernd, und verdrießlich, wie ein Bübchen in die<lb/> Schule geht. Es iſt ſo weit und ich ſehe lieber zu<lb/> auf der Gaſſe ſpielen, wo keiner ſeine Rolle verdirbt,<lb/> und man immer bequem Platz findet. Doch es iſt<lb/> lehrreich und ich darf es nicht verſäumen. Da wird<lb/> einem alles vor die Augen und Ohren vorbeigeführt,<lb/> was den Franzoſen ſeit einem Jahre durch Kopf und<lb/> Herz gegangen — Großes und Gemeines, Edles und<lb/> Schlechtes, Hoffnungen und Täuſchungen, Wünſche<lb/> und Verwünſchungen, Spott, Tadel, Dummheiten,<lb/> alles, und die ganze Geſchichte ſeit vierzig Jahren.<lb/> Jeder Held, jedes Schlachtopfer der Revolution<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0155]
daß ein Frauenzimmer dieſe Muſik gemacht, und wenn
im Orcheſter Hörner und Pauken mächtig erſchallten,
mußte ich jedesmal lachen. Den Text hat ſie ſich
auch ſelbſt zugerichtet. Man muß das freilich nicht
ſo genau nehmen; aber komiſch iſt es doch, wenn
Gretchen noch um 9 Uhr unſchuldige Jungfrau war,
und ſchon um 11 Uhr als Kindesmörderin im Ge¬
fängniß ſitzt; das iſt zum Leſen aber nicht zum Dar¬
ſtellen.
Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen
Wochen, die ich noch hier bleibe, alle Theater zu
beſuchen, von welchen ich mehrere noch gar nicht
kenne, und alle Stücke zu ſehen, die dieſen Winter
neu verfertigt worden. Aber ich werde hingehen,
ſchlenkernd, und verdrießlich, wie ein Bübchen in die
Schule geht. Es iſt ſo weit und ich ſehe lieber zu
auf der Gaſſe ſpielen, wo keiner ſeine Rolle verdirbt,
und man immer bequem Platz findet. Doch es iſt
lehrreich und ich darf es nicht verſäumen. Da wird
einem alles vor die Augen und Ohren vorbeigeführt,
was den Franzoſen ſeit einem Jahre durch Kopf und
Herz gegangen — Großes und Gemeines, Edles und
Schlechtes, Hoffnungen und Täuſchungen, Wünſche
und Verwünſchungen, Spott, Tadel, Dummheiten,
alles, und die ganze Geſchichte ſeit vierzig Jahren.
Jeder Held, jedes Schlachtopfer der Revolution
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