Sie sich nicht lange. Die Künste des Friedens ge¬ hen auch hier im Kriege nicht unter, und wenn am meisten geweint wird, wird am meisten gelacht, und die Niederlage der Franzosen wird in Paris immer noch lustiger seyn, als in Wien der Sieg der Deut¬ schen. -- Ich fahre in meinem Theaterberichte fort. Aber das Herz blutet mir, wenn ich daran denke, wie schön sich diese Berichte im Dresdner Abend¬ blatte ausnehmen würden, und daß ich für den ge¬ druckten Bogen 8 Thaler bekäme, wofür ich zweimal Paganini hören könnte -- ich brauchte nur 10 Fran¬ ken noch darauf zu legen. Und was geben Sie mir dafür? Sie wollen nicht einmal nach Paris kommen, was ich so sehr wünsche. Und wie zärtlich dürfte ich schreiben, wenn ich statt Ihnen nach Dresden be¬ richtete! Wissen Sie, wie die Correspondenten des Abendblattes ihre Briefe gewöhnlich anfangen? Sie schreiben: Liebe Vespertina! Holdes Ves¬ pertinchen! Aber ohne darum den Verstand zu verlieren. Denn sobald sie holdes Vesper¬ tinchen gesagt, kehren sie gleich zu ihrer Prosa zu¬ rück und schreiben: "Referent will sich beeilen...."
Das hiesige Theater zieht mich mehr an als ich erwartete. Von Kunstgenuß ist gar keine Rede, es
Sie ſich nicht lange. Die Künſte des Friedens ge¬ hen auch hier im Kriege nicht unter, und wenn am meiſten geweint wird, wird am meiſten gelacht, und die Niederlage der Franzoſen wird in Paris immer noch luſtiger ſeyn, als in Wien der Sieg der Deut¬ ſchen. — Ich fahre in meinem Theaterberichte fort. Aber das Herz blutet mir, wenn ich daran denke, wie ſchön ſich dieſe Berichte im Dresdner Abend¬ blatte ausnehmen würden, und daß ich für den ge¬ druckten Bogen 8 Thaler bekäme, wofür ich zweimal Paganini hören könnte — ich brauchte nur 10 Fran¬ ken noch darauf zu legen. Und was geben Sie mir dafür? Sie wollen nicht einmal nach Paris kommen, was ich ſo ſehr wünſche. Und wie zärtlich dürfte ich ſchreiben, wenn ich ſtatt Ihnen nach Dresden be¬ richtete! Wiſſen Sie, wie die Correſpondenten des Abendblattes ihre Briefe gewöhnlich anfangen? Sie ſchreiben: Liebe Vespertina! Holdes Ves¬ pertinchen! Aber ohne darum den Verſtand zu verlieren. Denn ſobald ſie holdes Vesper¬ tinchen geſagt, kehren ſie gleich zu ihrer Proſa zu¬ rück und ſchreiben: „Referent will ſich beeilen....“
Das hieſige Theater zieht mich mehr an als ich erwartete. Von Kunſtgenuß iſt gar keine Rede, es
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Sie ſich nicht lange. Die Künſte des Friedens ge¬
hen auch hier im Kriege nicht unter, und wenn am
meiſten geweint wird, wird am meiſten gelacht, und
die Niederlage der Franzoſen wird in Paris immer
noch luſtiger ſeyn, als in Wien der Sieg der Deut¬
ſchen. — Ich fahre in meinem Theaterberichte fort.
Aber das Herz blutet mir, wenn ich daran denke,
wie ſchön ſich dieſe Berichte im Dresdner Abend¬
blatte ausnehmen würden, und daß ich für den ge¬
druckten Bogen 8 Thaler bekäme, wofür ich zweimal
Paganini hören könnte — ich brauchte nur 10 Fran¬
ken noch darauf zu legen. Und was geben Sie mir
dafür? Sie wollen nicht einmal nach Paris kommen,
was ich ſo ſehr wünſche. Und wie zärtlich dürfte
ich ſchreiben, wenn ich ſtatt Ihnen nach Dresden be¬
richtete! Wiſſen Sie, wie die Correſpondenten des
Abendblattes ihre Briefe gewöhnlich anfangen? Sie
ſchreiben: Liebe Vespertina! Holdes Ves¬
pertinchen! Aber ohne darum den Verſtand zu
verlieren. Denn ſobald ſie holdes Vesper¬
tinchen geſagt, kehren ſie gleich zu ihrer Proſa zu¬
rück und ſchreiben: „Referent will ſich beeilen....“
Das hieſige Theater zieht mich mehr an als ich
erwartete. Von Kunſtgenuß iſt gar keine Rede, es
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/208>, abgerufen am 18.06.2024.
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