Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬ bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0210" n="196"/> bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬<lb/> vor. Hätte es in der erſten Schöpfungswoche, da<lb/> noch nichts fertig, oder nach der Sündfluth, da alles<lb/> zerſtört war, einem vernünftigen Menſchen einfallen<lb/> können, eine Naturgeſchichte zu ſchreiben? So iſt<lb/> es mit der dramatiſchen Kunſt. Man kann keinen<lb/> Menſchen malen, der nicht ſtill hält, der nicht ruhig<lb/> ſitzt. Aber trotz der verdorbenen und grundloſen<lb/> dramatiſchen Wege, könnte doch einmal ein Franzoſe<lb/> in ſeiner Dummheit leichter ein gutes Drama errei¬<lb/> chen, als ein Deutſcher in ſeiner Weisheit. Die<lb/> Leidenſchaft, Geld zu verdienen, und die Gewißheit,<lb/> es zu verdienen, wenn man eine gute Waare hat,<lb/> iſt in Paris ſo groß, daß wohl einmal ein anderer<lb/> Scribe, in verzweifelter Anſtrengung etwas ganz<lb/> neues hervorzubringen, ein Schauſpiel wie Schillers<lb/> Wallenſtein dichten könnte. Was vermag die Leiden¬<lb/> ſchaft nicht! Das Fieber gibt einem Greiſe Jugend¬<lb/> ſtärke, und einem Dummkopfe ſchöne Phantaſieen.<lb/> Auch in ſolchen Fällen, wo das hieſige Theater den<lb/> didaktiſchen Nutzen nicht gewährt, den ich angegeben,<lb/> wo es ſo wenig Früchte als Blüthe ſchenkt, wo es<lb/> langweilig iſt auf deutſche Art — auch dann noch<lb/> hat es ſein eigenes Intereſſe. Man erkennt dabei,<lb/> wie die Franzoſen gemüthlicher und univerſeller wer¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [196/0210]
bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬
vor. Hätte es in der erſten Schöpfungswoche, da
noch nichts fertig, oder nach der Sündfluth, da alles
zerſtört war, einem vernünftigen Menſchen einfallen
können, eine Naturgeſchichte zu ſchreiben? So iſt
es mit der dramatiſchen Kunſt. Man kann keinen
Menſchen malen, der nicht ſtill hält, der nicht ruhig
ſitzt. Aber trotz der verdorbenen und grundloſen
dramatiſchen Wege, könnte doch einmal ein Franzoſe
in ſeiner Dummheit leichter ein gutes Drama errei¬
chen, als ein Deutſcher in ſeiner Weisheit. Die
Leidenſchaft, Geld zu verdienen, und die Gewißheit,
es zu verdienen, wenn man eine gute Waare hat,
iſt in Paris ſo groß, daß wohl einmal ein anderer
Scribe, in verzweifelter Anſtrengung etwas ganz
neues hervorzubringen, ein Schauſpiel wie Schillers
Wallenſtein dichten könnte. Was vermag die Leiden¬
ſchaft nicht! Das Fieber gibt einem Greiſe Jugend¬
ſtärke, und einem Dummkopfe ſchöne Phantaſieen.
Auch in ſolchen Fällen, wo das hieſige Theater den
didaktiſchen Nutzen nicht gewährt, den ich angegeben,
wo es ſo wenig Früchte als Blüthe ſchenkt, wo es
langweilig iſt auf deutſche Art — auch dann noch
hat es ſein eigenes Intereſſe. Man erkennt dabei,
wie die Franzoſen gemüthlicher und univerſeller wer¬
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