Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.schämen kann! Selbst die Irrthümer des Herzens ſchämen kann! Selbſt die Irrthümer des Herzens <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0217" n="203"/> ſchämen kann! Selbſt die Irrthümer des Herzens<lb/> — doch es gibt keine Irrthümer des Herzens. Sie<lb/> ſind es nur, wenn man ſie an dem ſpitzbübiſchen<lb/> Einmaleins des Krämervolks nachrechnet, das Tugend<lb/> kauft und verkauft; <choice><sic>aben</sic><corr>aber</corr></choice> der Himmel hat eine ganz<lb/> andere Arithmetik. Chateaubriand nimmt für den<lb/> Herzog von Bordeaux das Wort und für ſein<lb/> Recht. Er vertheidigt die kranke und alterſchwache<lb/> Legitimität. Aber die Legitimität iſt ihm kein Glau¬<lb/> bensartikel, den man blind annehmen und ausgeben<lb/> muß, ſondern nur ein politiſcher Grundſatz. Damit<lb/> können wir zufrieden ſeyn. Sobald man nur eine<lb/> Lehre prüfen, dafür oder dagegen ſprechen darf, mag<lb/> jeder, ſo gut er es verſteht, ſeine Lehre geltend zu<lb/> machen ſuchen. Nun meint Chateaubriand, Frank¬<lb/> reich, nach Vertreibung Karl <hi rendition="#aq">X</hi>. und ſeines Sohnes,<lb/> (und dieſe wünſcht er keineswegs zurück,) hätte beſ¬<lb/> ſer gethan, für ſein Wohl ſich Heinrich <hi rendition="#aq">V</hi>. zum Kö¬<lb/> nige zu geben. Man hätte das königliche Kind für<lb/> die Freiheit erzogen; man hätte Frankreichs edle Ju¬<lb/> gend um ſeinen künftigen Herrſcher verſammelt und<lb/> dann ſtatt des feigen Lispelns jetzt ein ganz anderes<lb/> Wort mit Frankreichs Feinden ſprechen können.<lb/> Chateaubriand hat ganz Recht; nur überſieht er den<lb/> Rechnungsfehler, daß Frankreich keine vier Millionen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [203/0217]
ſchämen kann! Selbſt die Irrthümer des Herzens
— doch es gibt keine Irrthümer des Herzens. Sie
ſind es nur, wenn man ſie an dem ſpitzbübiſchen
Einmaleins des Krämervolks nachrechnet, das Tugend
kauft und verkauft; aber der Himmel hat eine ganz
andere Arithmetik. Chateaubriand nimmt für den
Herzog von Bordeaux das Wort und für ſein
Recht. Er vertheidigt die kranke und alterſchwache
Legitimität. Aber die Legitimität iſt ihm kein Glau¬
bensartikel, den man blind annehmen und ausgeben
muß, ſondern nur ein politiſcher Grundſatz. Damit
können wir zufrieden ſeyn. Sobald man nur eine
Lehre prüfen, dafür oder dagegen ſprechen darf, mag
jeder, ſo gut er es verſteht, ſeine Lehre geltend zu
machen ſuchen. Nun meint Chateaubriand, Frank¬
reich, nach Vertreibung Karl X. und ſeines Sohnes,
(und dieſe wünſcht er keineswegs zurück,) hätte beſ¬
ſer gethan, für ſein Wohl ſich Heinrich V. zum Kö¬
nige zu geben. Man hätte das königliche Kind für
die Freiheit erzogen; man hätte Frankreichs edle Ju¬
gend um ſeinen künftigen Herrſcher verſammelt und
dann ſtatt des feigen Lispelns jetzt ein ganz anderes
Wort mit Frankreichs Feinden ſprechen können.
Chateaubriand hat ganz Recht; nur überſieht er den
Rechnungsfehler, daß Frankreich keine vier Millionen
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