Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

In der ganzen Constitution sind die Rechte zwischen
Regierung und Volk so getheilt, wie jener Jude mit
einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬
schaftlich gemietheten Pferdes theilte: "Eine Stunde
reite ich und du gehst, die andere Stunde gehest du
und ich reite."

-- Warum wundert Sie, daß es dem *** in
Wien gefallen, und warum wundert das ihn selbst?
Wien ist ein ganz hübscher Ort und ich möchte wohl
dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre
und kein magerer Cassius. Wenn er sagt, er habe
es dort ganz anders und besser gefunden, als er
erwartet, so ist das seine Schuld; er hat falsch ge¬
sucht und falsch gefunden. Er glaubte wahrscheinlich,
in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von
Politik spräche, und man fände dort keine anderen
Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber so ist es
nicht. Campe schrieb mir neulich, daß meine Schrif¬
ten in Oesterreich am meisten Abgang hätten. Das
muß aber Keinen irre machen. *** ließ sich täu¬
schen, wie sich die Wiener selbst täuschen lassen,
Die glauben auch, daß sie sich eine Freiheit nehmen,
die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber
diese klug genug ist, sich anzustellen, als ließ sie sie
nehmen, weil sie weiß, daß verbotene Früchte am

In der ganzen Conſtitution ſind die Rechte zwiſchen
Regierung und Volk ſo getheilt, wie jener Jude mit
einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬
ſchaftlich gemietheten Pferdes theilte: „Eine Stunde
reite ich und du gehſt, die andere Stunde geheſt du
und ich reite.“

— Warum wundert Sie, daß es dem *** in
Wien gefallen, und warum wundert das ihn ſelbſt?
Wien iſt ein ganz hübſcher Ort und ich möchte wohl
dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre
und kein magerer Caſſius. Wenn er ſagt, er habe
es dort ganz anders und beſſer gefunden, als er
erwartet, ſo iſt das ſeine Schuld; er hat falſch ge¬
ſucht und falſch gefunden. Er glaubte wahrſcheinlich,
in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von
Politik ſpräche, und man fände dort keine anderen
Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber ſo iſt es
nicht. Campe ſchrieb mir neulich, daß meine Schrif¬
ten in Oeſterreich am meiſten Abgang hätten. Das
muß aber Keinen irre machen. *** ließ ſich täu¬
ſchen, wie ſich die Wiener ſelbſt täuſchen laſſen,
Die glauben auch, daß ſie ſich eine Freiheit nehmen,
die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber
dieſe klug genug iſt, ſich anzuſtellen, als ließ ſie ſie
nehmen, weil ſie weiß, daß verbotene Früchte am

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="13"/>
In der ganzen Con&#x017F;titution &#x017F;ind die Rechte zwi&#x017F;chen<lb/>
Regierung und Volk &#x017F;o getheilt, wie jener Jude mit<lb/>
einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬<lb/>
&#x017F;chaftlich gemietheten Pferdes theilte: &#x201E;Eine Stunde<lb/>
reite ich und du geh&#x017F;t, die andere Stunde gehe&#x017F;t du<lb/>
und ich reite.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x2014; Warum wundert Sie, daß es dem *** in<lb/>
Wien gefallen, und warum wundert das ihn &#x017F;elb&#x017F;t?<lb/>
Wien i&#x017F;t ein ganz hüb&#x017F;cher Ort und ich möchte wohl<lb/>
dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre<lb/>
und kein magerer Ca&#x017F;&#x017F;ius. Wenn er &#x017F;agt, er habe<lb/>
es dort ganz anders und be&#x017F;&#x017F;er gefunden, als er<lb/>
erwartet, &#x017F;o i&#x017F;t das &#x017F;eine Schuld; er hat fal&#x017F;ch ge¬<lb/>
&#x017F;ucht und fal&#x017F;ch gefunden. Er glaubte wahr&#x017F;cheinlich,<lb/>
in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von<lb/>
Politik &#x017F;präche, und man fände dort keine anderen<lb/>
Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
nicht. Campe &#x017F;chrieb mir neulich, daß meine Schrif¬<lb/>
ten in Oe&#x017F;terreich am mei&#x017F;ten Abgang hätten. Das<lb/>
muß aber Keinen irre machen. *** ließ &#x017F;ich täu¬<lb/>
&#x017F;chen, wie &#x017F;ich die Wiener &#x017F;elb&#x017F;t täu&#x017F;chen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Die glauben auch, daß &#x017F;ie &#x017F;ich eine Freiheit <hi rendition="#g">nehmen</hi>,<lb/>
die ihnen die Regierung eigentlich <hi rendition="#g">gibt</hi>, wobei aber<lb/>
die&#x017F;e klug genug i&#x017F;t, &#x017F;ich anzu&#x017F;tellen, als ließ &#x017F;ie &#x017F;ie<lb/>
nehmen, weil &#x017F;ie weiß, daß verbotene Früchte am<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0027] In der ganzen Conſtitution ſind die Rechte zwiſchen Regierung und Volk ſo getheilt, wie jener Jude mit einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬ ſchaftlich gemietheten Pferdes theilte: „Eine Stunde reite ich und du gehſt, die andere Stunde geheſt du und ich reite.“ — Warum wundert Sie, daß es dem *** in Wien gefallen, und warum wundert das ihn ſelbſt? Wien iſt ein ganz hübſcher Ort und ich möchte wohl dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre und kein magerer Caſſius. Wenn er ſagt, er habe es dort ganz anders und beſſer gefunden, als er erwartet, ſo iſt das ſeine Schuld; er hat falſch ge¬ ſucht und falſch gefunden. Er glaubte wahrſcheinlich, in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von Politik ſpräche, und man fände dort keine anderen Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber ſo iſt es nicht. Campe ſchrieb mir neulich, daß meine Schrif¬ ten in Oeſterreich am meiſten Abgang hätten. Das muß aber Keinen irre machen. *** ließ ſich täu¬ ſchen, wie ſich die Wiener ſelbſt täuſchen laſſen, Die glauben auch, daß ſie ſich eine Freiheit nehmen, die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber dieſe klug genug iſt, ſich anzuſtellen, als ließ ſie ſie nehmen, weil ſie weiß, daß verbotene Früchte am

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/27
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/27>, abgerufen am 21.11.2024.