Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

freier im Gefängniß, als bei uns in der Frei¬
heit. Der Polizei, die nur von Willkühr lebt,
die fürchterliche Gewalt zu geben, jeden, den sie
anschuldigt, jeden, den sie beargwohnt, aus seinem,
selbst bei jedem Mörder heiligen unverletzlichen
Asyl, aus seiner Ruhestätte zu reißen, den Un¬
schuldigen oft von dem einzigen Zeugen seiner
Unschuld, vom Tageslicht zu trennen -- ist eine
Tyrannei so schändlicher Art, daß wir sie schwei¬
gend duldet, noch strafbarer ist, als wer sie
übt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬
richte im Dunkeln Recht sprechen, und wo die
Presse unter der schmählichsten Sklaverei steht!
Wenn eine solche nächtliche Arretirung einen
Fremden trifft, dann ist er wie verschwunden
von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬
richt geben von dem Werke der Finsterniß, und
der Tod gewährte dann einem Solchen größere
Sicherheit als die Gefangenschaft; denn einem
Verstorbenen wird doch wenigstens ein öffent¬

freier im Gefaͤngniß, als bei uns in der Frei¬
heit. Der Polizei, die nur von Willkuͤhr lebt,
die fuͤrchterliche Gewalt zu geben, jeden, den ſie
anſchuldigt, jeden, den ſie beargwohnt, aus ſeinem,
ſelbſt bei jedem Moͤrder heiligen unverletzlichen
Aſyl, aus ſeiner Ruheſtaͤtte zu reißen, den Un¬
ſchuldigen oft von dem einzigen Zeugen ſeiner
Unſchuld, vom Tageslicht zu trennen — iſt eine
Tyrannei ſo ſchaͤndlicher Art, daß wir ſie ſchwei¬
gend duldet, noch ſtrafbarer iſt, als wer ſie
uͤbt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬
richte im Dunkeln Recht ſprechen, und wo die
Preſſe unter der ſchmaͤhlichſten Sklaverei ſteht!
Wenn eine ſolche naͤchtliche Arretirung einen
Fremden trifft, dann iſt er wie verſchwunden
von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬
richt geben von dem Werke der Finſterniß, und
der Tod gewaͤhrte dann einem Solchen groͤßere
Sicherheit als die Gefangenſchaft; denn einem
Verſtorbenen wird doch wenigſtens ein oͤffent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="160"/>
freier im Gefa&#x0364;ngniß, als bei uns in der Frei¬<lb/>
heit. Der Polizei, die nur von Willku&#x0364;hr lebt,<lb/>
die fu&#x0364;rchterliche Gewalt zu geben, jeden, den &#x017F;ie<lb/>
an&#x017F;chuldigt, jeden, den &#x017F;ie beargwohnt, aus &#x017F;einem,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bei jedem Mo&#x0364;rder heiligen unverletzlichen<lb/>
A&#x017F;yl, aus &#x017F;einer Ruhe&#x017F;ta&#x0364;tte zu reißen, den Un¬<lb/>
&#x017F;chuldigen oft von dem einzigen Zeugen &#x017F;einer<lb/>
Un&#x017F;chuld, vom Tageslicht zu trennen &#x2014; i&#x017F;t eine<lb/>
Tyrannei &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlicher Art, daß wir &#x017F;ie &#x017F;chwei¬<lb/>
gend duldet, noch &#x017F;trafbarer i&#x017F;t, als wer &#x017F;ie<lb/>
u&#x0364;bt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬<lb/>
richte im Dunkeln Recht &#x017F;prechen, und wo die<lb/>
Pre&#x017F;&#x017F;e unter der &#x017F;chma&#x0364;hlich&#x017F;ten Sklaverei &#x017F;teht!<lb/>
Wenn eine &#x017F;olche na&#x0364;chtliche Arretirung einen<lb/>
Fremden trifft, dann i&#x017F;t er wie ver&#x017F;chwunden<lb/>
von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬<lb/>
richt geben von dem Werke der Fin&#x017F;terniß, und<lb/>
der Tod gewa&#x0364;hrte dann einem Solchen gro&#x0364;ßere<lb/>
Sicherheit als die Gefangen&#x017F;chaft; denn einem<lb/>
Ver&#x017F;torbenen wird doch wenig&#x017F;tens ein o&#x0364;ffent¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0174] freier im Gefaͤngniß, als bei uns in der Frei¬ heit. Der Polizei, die nur von Willkuͤhr lebt, die fuͤrchterliche Gewalt zu geben, jeden, den ſie anſchuldigt, jeden, den ſie beargwohnt, aus ſeinem, ſelbſt bei jedem Moͤrder heiligen unverletzlichen Aſyl, aus ſeiner Ruheſtaͤtte zu reißen, den Un¬ ſchuldigen oft von dem einzigen Zeugen ſeiner Unſchuld, vom Tageslicht zu trennen — iſt eine Tyrannei ſo ſchaͤndlicher Art, daß wir ſie ſchwei¬ gend duldet, noch ſtrafbarer iſt, als wer ſie uͤbt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬ richte im Dunkeln Recht ſprechen, und wo die Preſſe unter der ſchmaͤhlichſten Sklaverei ſteht! Wenn eine ſolche naͤchtliche Arretirung einen Fremden trifft, dann iſt er wie verſchwunden von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬ richt geben von dem Werke der Finſterniß, und der Tod gewaͤhrte dann einem Solchen groͤßere Sicherheit als die Gefangenſchaft; denn einem Verſtorbenen wird doch wenigſtens ein oͤffent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/174
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/174>, abgerufen am 25.11.2024.