als hätte er gesprochen. Stumm und roth wie ein Krebs! Ich schämte mich -- nein, das ist das rechte Wort nicht -- es schmerzte mich. Und warum habe ich nicht gesprochen? Der Pole vor mir sprach viel schlechter Französisch, als ich. Und mir war das Herz so voll, daß ich eine ganze Stunde hätte sprechen können, und ich hätte vermocht, alles so schnell nieder¬ zuschreiben, als es hätte gesprochen werden müs¬ sen. Aber mir kam in den Sinn, was wohl meine Aengstlichkeit entschuldigt, aber das Ge¬ fühl derselben nur noch bitterer macht. Ich be¬ dachte: ein Pole, ein Spanier repräsentirt ein Vaterland, sein Volk steht hinter ihm, was er spricht sind nicht Worte, er berührt Tasten, die Thaten wiederklingen, er erinnert, man hört nicht ihn, man hört die Vergangenheit, man sieht das weit entfernte Land. Aber was re¬ präsentire ich, an welche Thaten erinnere ich? Ich stehe allein, ich bin ein Lakai und trage,
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als haͤtte er geſprochen. Stumm und roth wie ein Krebs! Ich ſchaͤmte mich — nein, das iſt das rechte Wort nicht — es ſchmerzte mich. Und warum habe ich nicht geſprochen? Der Pole vor mir ſprach viel ſchlechter Franzoͤſiſch, als ich. Und mir war das Herz ſo voll, daß ich eine ganze Stunde haͤtte ſprechen koͤnnen, und ich haͤtte vermocht, alles ſo ſchnell nieder¬ zuſchreiben, als es haͤtte geſprochen werden muͤſ¬ ſen. Aber mir kam in den Sinn, was wohl meine Aengſtlichkeit entſchuldigt, aber das Ge¬ fuͤhl derſelben nur noch bitterer macht. Ich be¬ dachte: ein Pole, ein Spanier repraͤſentirt ein Vaterland, ſein Volk ſteht hinter ihm, was er ſpricht ſind nicht Worte, er beruͤhrt Taſten, die Thaten wiederklingen, er erinnert, man hoͤrt nicht ihn, man hoͤrt die Vergangenheit, man ſieht das weit entfernte Land. Aber was re¬ praͤſentire ich, an welche Thaten erinnere ich? Ich ſtehe allein, ich bin ein Lakai und trage,
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als haͤtte er geſprochen. Stumm und roth wie
ein Krebs! Ich ſchaͤmte mich — nein, das iſt
das rechte Wort nicht — es ſchmerzte mich.
Und warum habe ich nicht geſprochen? Der
Pole vor mir ſprach viel ſchlechter Franzoͤſiſch,
als ich. Und mir war das Herz ſo voll, daß
ich eine ganze Stunde haͤtte ſprechen koͤnnen,
und ich haͤtte vermocht, alles ſo ſchnell nieder¬
zuſchreiben, als es haͤtte geſprochen werden muͤſ¬
ſen. Aber mir kam in den Sinn, was wohl
meine Aengſtlichkeit entſchuldigt, aber das Ge¬
fuͤhl derſelben nur noch bitterer macht. Ich be¬
dachte: ein Pole, ein Spanier repraͤſentirt ein
Vaterland, ſein Volk ſteht hinter ihm, was er
ſpricht ſind nicht Worte, er beruͤhrt Taſten, die
Thaten wiederklingen, er erinnert, man hoͤrt
nicht ihn, man hoͤrt die Vergangenheit, man
ſieht das weit entfernte Land. Aber was re¬
praͤſentire ich, an welche Thaten erinnere ich?
Ich ſtehe allein, ich bin ein Lakai und trage,
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/289>, abgerufen am 22.11.2024.
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