Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

nur diese kennen sie. Darum der List ja keine Of¬
fenheit, dem Laster keine Tugend, der Frechheit keine
Milde, der Plumpheit keinen Anstand gegenüber.

Ist es wie in den großen Kämpfen dieser Zeit,
wo Macht gegen Macht streitet, nicht auch in den
kleinen Kämpfen aller Zeiten, wo jeder Mensch für
sein besonderes Leben gegen das andere besondere
Leben kämpft? Siegt nicht immer der Dumme über
den Weisen, der Bösewicht über den edlen Mann?
Das geschieht, weil die edlen Menschen den Sieg
mit dem Kampfe, die Beute mit der Waffe verwech¬
seln, und mit Recht für das Recht streiten. Nur
mit Unrecht gewinnt man das Recht; denn man kann
selbst im Kampfe für die Wahrheit die Söldlinge
nicht entbehren, und diese bezahlt man mit Tugend
nicht. Sehen Sie Rousseau. Es gab keinen Men¬
schen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte
mehr gehaßt, als er. Er kämpfte sein ganzes Leben
für Freiheit und Recht, und warum wurde er so ver¬
kannt? Warum wurde er so verspottet? Warum
war sein Leben so voll Schmach und Noth? Er
verspottete die Gemeinheit und war gutmüthig gegen
die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in
Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles
Schlechte, und schonte die Schlechten. Ueber die
Sache verschwand ihm der Mensch; er liebte das
Gute, und verstand die Guten nicht zu lieben;

nur dieſe kennen ſie. Darum der Liſt ja keine Of¬
fenheit, dem Laſter keine Tugend, der Frechheit keine
Milde, der Plumpheit keinen Anſtand gegenüber.

Iſt es wie in den großen Kämpfen dieſer Zeit,
wo Macht gegen Macht ſtreitet, nicht auch in den
kleinen Kämpfen aller Zeiten, wo jeder Menſch für
ſein beſonderes Leben gegen das andere beſondere
Leben kämpft? Siegt nicht immer der Dumme über
den Weiſen, der Böſewicht über den edlen Mann?
Das geſchieht, weil die edlen Menſchen den Sieg
mit dem Kampfe, die Beute mit der Waffe verwech¬
ſeln, und mit Recht für das Recht ſtreiten. Nur
mit Unrecht gewinnt man das Recht; denn man kann
ſelbſt im Kampfe für die Wahrheit die Söldlinge
nicht entbehren, und dieſe bezahlt man mit Tugend
nicht. Sehen Sie Rouſſeau. Es gab keinen Men¬
ſchen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte
mehr gehaßt, als er. Er kämpfte ſein ganzes Leben
für Freiheit und Recht, und warum wurde er ſo ver¬
kannt? Warum wurde er ſo verſpottet? Warum
war ſein Leben ſo voll Schmach und Noth? Er
verſpottete die Gemeinheit und war gutmüthig gegen
die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in
Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles
Schlechte, und ſchonte die Schlechten. Ueber die
Sache verſchwand ihm der Menſch; er liebte das
Gute, und verſtand die Guten nicht zu lieben;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="120"/>
nur die&#x017F;e kennen &#x017F;ie. Darum der Li&#x017F;t ja keine Of¬<lb/>
fenheit, dem La&#x017F;ter keine Tugend, der Frechheit keine<lb/>
Milde, der Plumpheit keinen An&#x017F;tand gegenüber.</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t es wie in den großen Kämpfen die&#x017F;er Zeit,<lb/>
wo Macht gegen Macht &#x017F;treitet, nicht auch in den<lb/>
kleinen Kämpfen aller Zeiten, wo jeder Men&#x017F;ch für<lb/>
&#x017F;ein be&#x017F;onderes Leben gegen das andere be&#x017F;ondere<lb/>
Leben kämpft? Siegt nicht immer der Dumme über<lb/>
den Wei&#x017F;en, der Bö&#x017F;ewicht über den edlen Mann?<lb/>
Das ge&#x017F;chieht, weil die edlen Men&#x017F;chen den Sieg<lb/>
mit dem Kampfe, die Beute mit der Waffe verwech¬<lb/>
&#x017F;eln, und mit Recht für das Recht &#x017F;treiten. Nur<lb/>
mit Unrecht gewinnt man das Recht; denn man kann<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t im Kampfe für die Wahrheit die Söldlinge<lb/>
nicht entbehren, und die&#x017F;e bezahlt man mit Tugend<lb/>
nicht. Sehen Sie Rou&#x017F;&#x017F;eau. Es gab keinen Men¬<lb/>
&#x017F;chen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte<lb/>
mehr gehaßt, als er. Er kämpfte &#x017F;ein ganzes Leben<lb/>
für Freiheit und Recht, und warum wurde er &#x017F;o ver¬<lb/>
kannt? Warum wurde er &#x017F;o ver&#x017F;pottet? Warum<lb/>
war &#x017F;ein Leben &#x017F;o voll Schmach und Noth? Er<lb/>
ver&#x017F;pottete die Gemeinheit und war gutmüthig gegen<lb/>
die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in<lb/>
Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles<lb/>
Schlechte, und &#x017F;chonte die Schlechten. Ueber die<lb/>
Sache ver&#x017F;chwand ihm der Men&#x017F;ch; er liebte das<lb/>
Gute, und ver&#x017F;tand die Guten nicht zu lieben;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0134] nur dieſe kennen ſie. Darum der Liſt ja keine Of¬ fenheit, dem Laſter keine Tugend, der Frechheit keine Milde, der Plumpheit keinen Anſtand gegenüber. Iſt es wie in den großen Kämpfen dieſer Zeit, wo Macht gegen Macht ſtreitet, nicht auch in den kleinen Kämpfen aller Zeiten, wo jeder Menſch für ſein beſonderes Leben gegen das andere beſondere Leben kämpft? Siegt nicht immer der Dumme über den Weiſen, der Böſewicht über den edlen Mann? Das geſchieht, weil die edlen Menſchen den Sieg mit dem Kampfe, die Beute mit der Waffe verwech¬ ſeln, und mit Recht für das Recht ſtreiten. Nur mit Unrecht gewinnt man das Recht; denn man kann ſelbſt im Kampfe für die Wahrheit die Söldlinge nicht entbehren, und dieſe bezahlt man mit Tugend nicht. Sehen Sie Rouſſeau. Es gab keinen Men¬ ſchen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte mehr gehaßt, als er. Er kämpfte ſein ganzes Leben für Freiheit und Recht, und warum wurde er ſo ver¬ kannt? Warum wurde er ſo verſpottet? Warum war ſein Leben ſo voll Schmach und Noth? Er verſpottete die Gemeinheit und war gutmüthig gegen die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles Schlechte, und ſchonte die Schlechten. Ueber die Sache verſchwand ihm der Menſch; er liebte das Gute, und verſtand die Guten nicht zu lieben;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/134
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/134>, abgerufen am 21.11.2024.