drigen Ständen gewesen. Diese Bemerkung war ganz überflüssig. Man weiß recht gut, daß bei uns, wie überall, die höheren Stände weder so viel Ver¬ stand, noch so viel Herz haben. Der Polenzug durch Deutschland wird die schönsten Früchte tragen. O, die klugen Leute! O, die schlauen Staatsmänner! Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬ schau war ihnen bange; sie zerstreuten es, und jetzt geht die Freiheit hausiren im ganzen Lande, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der Schmach und Tücke, die Oesterreich und Preußen den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen Blätter schweigen; und jetzt schicken sie zwanzigtau¬ send Prediger im Lande herum, die erzählen, was sie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre. Kommen jetzt die Russen, dann wird man lange rei¬ sen müssen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu besuchen.
Was sich aber Preußen für Mühe giebt, sich verhaßt zu machen! So viel Bescheidenheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬ chen nicht zu studiren. Daß aber meine guten Deut¬ schen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es ist in ihrer schönen Art, über ihr Herz doppelte Buchhalterei zu führen: was sie dem Hasse geliehen (und sie leihen ihm nur und nehmen später zurück) setzen sie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut
drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns, wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬ ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O, die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner! Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬ ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬ ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre. Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬ ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu beſuchen.
Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬ chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬ ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen (und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück) ſetzen ſie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0140"n="126"/>
drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war<lb/>
ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns,<lb/>
wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬<lb/>ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch<lb/>
Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O,<lb/>
die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner!<lb/>
Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬<lb/>ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt<lb/>
geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von<lb/>
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der<lb/>
Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen<lb/>
den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen<lb/>
Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬<lb/>ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was<lb/>ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre.<lb/>
Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬<lb/>ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu<lb/>
beſuchen.</p><lb/><p>Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich<lb/>
verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte<lb/>
ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬<lb/>
chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬<lb/>ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es<lb/>
iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte<lb/>
Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen<lb/>
(und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück)<lb/>ſetzen ſie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[126/0140]
drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war
ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns,
wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬
ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch
Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O,
die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner!
Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬
ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt
geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der
Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen
den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen
Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬
ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was
ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre.
Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬
ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu
beſuchen.
Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich
verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte
ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬
chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬
ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es
iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte
Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen
(und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück)
ſetzen ſie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/140>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.