mit der zweiten abwechsle. Jetzt kömmt die Reihe zu geigen an den Meister Alexis. "Noch nie habe "ich ein Buch mit so steigendem Widerwillen, bis es "zuletzt völliger Ekel wurde, durchgelesen. Börne "ist ein deutscher Ultraliberaler, sagen Sie. Mein "Gott, reicht denn das Wort aus, diesen Inbegriff "von knabenhafter Wuth, pöbelhafter Ungezogenheit, "diesen bodenlosen Revolutionsgeist, diese hohle, ans "alberne streifende Begeisterung für negirende Be¬ "griffe auszudrücken, ja nur zu bezeichnen? Thut "man nicht unsern Liberalen Unrecht, Börne als ei¬ "nen ihres Gleichen zu nennen? Mich dünkt, so "etwas von erschütternd Nichtigem, in einer ab¬ "schreckenden Gestalt, ist noch nicht da gewesen, we¬ "nigstens nicht in der deutschen Literatur .... Es "wälzt sich ein Gemeinplätzen, in einem bachantischen "Taumel, oder wie jener irische Häuptling, der sich "vor der Fronte in den Koth warf, um sich abzu¬ "kühlen, wenn ihn das Fieber brannte. Es juckt "ihn und er kratzt sich, daß es eine Lust ist." Noch einmal, mich dauert der arme Schelm! Vor vierzig Jahren hatte irgend ein pfuschender Naturgesell von Lappen, die er seiner Meisterin gestohlen, dem klei¬ nen hagern Seelchen Röckchen und Höschen zusam¬ mengeschneidert. Zur Ruhe, zum Sitzenbleiben und zum Referiren gebohren, war dem Seelchen das enge Kleidchen weit genug und die Nähte hielten. Aber
mit der zweiten abwechsle. Jetzt kömmt die Reihe zu geigen an den Meiſter Alexis. „Noch nie habe „ich ein Buch mit ſo ſteigendem Widerwillen, bis es „zuletzt völliger Ekel wurde, durchgeleſen. Börne „iſt ein deutſcher Ultraliberaler, ſagen Sie. Mein „Gott, reicht denn das Wort aus, dieſen Inbegriff „von knabenhafter Wuth, pöbelhafter Ungezogenheit, „dieſen bodenloſen Revolutionsgeiſt, dieſe hohle, ans „alberne ſtreifende Begeiſterung für negirende Be¬ „griffe auszudrücken, ja nur zu bezeichnen? Thut „man nicht unſern Liberalen Unrecht, Börne als ei¬ „nen ihres Gleichen zu nennen? Mich dünkt, ſo „etwas von erſchütternd Nichtigem, in einer ab¬ „ſchreckenden Geſtalt, iſt noch nicht da geweſen, we¬ „nigſtens nicht in der deutſchen Literatur .... Es „wälzt ſich ein Gemeinplätzen, in einem bachantiſchen „Taumel, oder wie jener iriſche Häuptling, der ſich „vor der Fronte in den Koth warf, um ſich abzu¬ „kühlen, wenn ihn das Fieber brannte. Es juckt „ihn und er kratzt ſich, daß es eine Luſt iſt.“ Noch einmal, mich dauert der arme Schelm! Vor vierzig Jahren hatte irgend ein pfuſchender Naturgeſell von Lappen, die er ſeiner Meiſterin geſtohlen, dem klei¬ nen hagern Seelchen Röckchen und Höschen zuſam¬ mengeſchneidert. Zur Ruhe, zum Sitzenbleiben und zum Referiren gebohren, war dem Seelchen das enge Kleidchen weit genug und die Nähte hielten. Aber
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mit der zweiten abwechsle. Jetzt kömmt die Reihe
zu geigen an den Meiſter Alexis. „Noch nie habe
„ich ein Buch mit ſo ſteigendem Widerwillen, bis es
„zuletzt völliger Ekel wurde, durchgeleſen. Börne
„iſt ein deutſcher Ultraliberaler, ſagen Sie. Mein
„Gott, reicht denn das Wort aus, dieſen Inbegriff
„von knabenhafter Wuth, pöbelhafter Ungezogenheit,
„dieſen bodenloſen Revolutionsgeiſt, dieſe hohle, ans
„alberne ſtreifende Begeiſterung für negirende Be¬
„griffe auszudrücken, ja nur zu bezeichnen? Thut
„man nicht unſern Liberalen Unrecht, Börne als ei¬
„nen ihres Gleichen zu nennen? Mich dünkt, ſo
„etwas von erſchütternd Nichtigem, in einer ab¬
„ſchreckenden Geſtalt, iſt noch nicht da geweſen, we¬
„nigſtens nicht in der deutſchen Literatur .... Es
„wälzt ſich ein Gemeinplätzen, in einem bachantiſchen
„Taumel, oder wie jener iriſche Häuptling, der ſich
„vor der Fronte in den Koth warf, um ſich abzu¬
„kühlen, wenn ihn das Fieber brannte. Es juckt
„ihn und er kratzt ſich, daß es eine Luſt iſt.“ Noch
einmal, mich dauert der arme Schelm! Vor vierzig
Jahren hatte irgend ein pfuſchender Naturgeſell von
Lappen, die er ſeiner Meiſterin geſtohlen, dem klei¬
nen hagern Seelchen Röckchen und Höschen zuſam¬
mengeſchneidert. Zur Ruhe, zum Sitzenbleiben und
zum Referiren gebohren, war dem Seelchen das enge
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/183>, abgerufen am 21.11.2024.
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