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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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letzte Zweck dieser Sophisten. Dieser liegt vielmehr
darin, den großen Bundesmächten die formale Rechts¬
gleichheit aller Bundesglieder so unerträglich zu ma¬
chen, daß sie, um sich in ihren Interessen nicht bin¬
den zu lassen, sich genöthigt sehen, im Bunde nur
eine passive Rolle zu spielen, und nur durch diese
Passivität gegen die Action der Mindermächtigen zu
reagiren. Allein dies gerade fördert ihren Zweck, in
dem die kleinern Staaten, eben durch diese Thätigkeit,
die öffentliche Meinung in dem Grade für sich gewin¬
nen, in welchem die größern durch ihre Unthätigkeit,
die als hemmendes Prinzip erscheint, dieselbe verlieren.

Die zweite Form ist die der Nationalität.
In dieser Form suchen sie die verschiedenen, oft sich
widerstrebenden Interessen der einzelnen kleinen Staa¬
ten in Separathandlungen auszugleichen und zur Er¬
haltung der so errungenen gemeinsamen Interessen
förmliche Bünde im Bunde zu stiften. Warum wird
mit so großem Eifer, mit so vieler Umsicht an der
Organisation der gemischten Armee-Corps gearbeitet?
Warum der Vereinigung darüber alle Rangverhältnisse
so leicht geopfert? Warum stehen die Theilhaber
dieser Corps, so bald sie die Selbstständigkeit der¬
selben nur von weitem gefährdet glauben, gleich für
einen Mann? Warum hat man in den Staaten,
welche von Protestanten regiert werden, mit so un¬
wandelbarer Hartnäckigkeit allen Schwierigkeiten, die
sich der Gründung eines gemeinsamen Systems für

letzte Zweck dieſer Sophiſten. Dieſer liegt vielmehr
darin, den großen Bundesmächten die formale Rechts¬
gleichheit aller Bundesglieder ſo unerträglich zu ma¬
chen, daß ſie, um ſich in ihren Intereſſen nicht bin¬
den zu laſſen, ſich genöthigt ſehen, im Bunde nur
eine paſſive Rolle zu ſpielen, und nur durch dieſe
Paſſivität gegen die Action der Mindermächtigen zu
reagiren. Allein dies gerade fördert ihren Zweck, in
dem die kleinern Staaten, eben durch dieſe Thätigkeit,
die öffentliche Meinung in dem Grade für ſich gewin¬
nen, in welchem die größern durch ihre Unthätigkeit,
die als hemmendes Prinzip erſcheint, dieſelbe verlieren.

Die zweite Form iſt die der Nationalität.
In dieſer Form ſuchen ſie die verſchiedenen, oft ſich
widerſtrebenden Intereſſen der einzelnen kleinen Staa¬
ten in Separathandlungen auszugleichen und zur Er¬
haltung der ſo errungenen gemeinſamen Intereſſen
förmliche Bünde im Bunde zu ſtiften. Warum wird
mit ſo großem Eifer, mit ſo vieler Umſicht an der
Organiſation der gemiſchten Armee-Corps gearbeitet?
Warum der Vereinigung darüber alle Rangverhältniſſe
ſo leicht geopfert? Warum ſtehen die Theilhaber
dieſer Corps, ſo bald ſie die Selbſtſtändigkeit der¬
ſelben nur von weitem gefährdet glauben, gleich für
einen Mann? Warum hat man in den Staaten,
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[251/0265] letzte Zweck dieſer Sophiſten. Dieſer liegt vielmehr darin, den großen Bundesmächten die formale Rechts¬ gleichheit aller Bundesglieder ſo unerträglich zu ma¬ chen, daß ſie, um ſich in ihren Intereſſen nicht bin¬ den zu laſſen, ſich genöthigt ſehen, im Bunde nur eine paſſive Rolle zu ſpielen, und nur durch dieſe Paſſivität gegen die Action der Mindermächtigen zu reagiren. Allein dies gerade fördert ihren Zweck, in dem die kleinern Staaten, eben durch dieſe Thätigkeit, die öffentliche Meinung in dem Grade für ſich gewin¬ nen, in welchem die größern durch ihre Unthätigkeit, die als hemmendes Prinzip erſcheint, dieſelbe verlieren. Die zweite Form iſt die der Nationalität. In dieſer Form ſuchen ſie die verſchiedenen, oft ſich widerſtrebenden Intereſſen der einzelnen kleinen Staa¬ ten in Separathandlungen auszugleichen und zur Er¬ haltung der ſo errungenen gemeinſamen Intereſſen förmliche Bünde im Bunde zu ſtiften. Warum wird mit ſo großem Eifer, mit ſo vieler Umſicht an der Organiſation der gemiſchten Armee-Corps gearbeitet? Warum der Vereinigung darüber alle Rangverhältniſſe ſo leicht geopfert? Warum ſtehen die Theilhaber dieſer Corps, ſo bald ſie die Selbſtſtändigkeit der¬ ſelben nur von weitem gefährdet glauben, gleich für einen Mann? Warum hat man in den Staaten, welche von Proteſtanten regiert werden, mit ſo un¬ wandelbarer Hartnäckigkeit allen Schwierigkeiten, die ſich der Gründung eines gemeinſamen Syſtems für

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/265>, abgerufen am 21.11.2024.