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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Doch es ist merkwürdig! Wenigstens nach mehreren
Erfahrungen die ich gemacht, haben die schönen Schau¬
spielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menschen¬
kenntniß, und sie verstehen gewöhnlich ihr eignes, oft
so interessantes Leben, nicht kunstreich aufzufassen.
Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges
nicht spielen sehen?

Außer dem erwähnten Drama gab man den
Abend noch ein Melodrama l'Auberge des
Adrets
; eine ganz gemeine sentimentale Mörder-
und Räubergeschichte. Aber ein Schauspieler Na¬
mens Frederic führte eine komische Rolle vortreff¬
lich durch. Ich habe lange nicht so sehr gelacht.
Das Merkwürdige bei der Sache ist, daß das Ko¬
mische gar nicht in der Rolle liegt, sondern in dem
selbsterfundenen Spiele des Schauspielers und das
zu seinem Charakter und den Reden die er führt gar
nicht paßt. Es ist ein zerlumpter, niederträchtiger,
boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder.
Er bringt einen Mann im Stücke selbst um, ihm
sein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen
gutmüthigen Schelm daraus der höchst ergötzlich ist.
Zuletzt freilich werden die Possen, doch wahrscheinlich
dem Pöbel und der Kasse zu gefallen, etwas gar zu
weit getrieben. Stellen Sie sich vor: Am Ende

8*

Doch es iſt merkwürdig! Wenigſtens nach mehreren
Erfahrungen die ich gemacht, haben die ſchönen Schau¬
ſpielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menſchen¬
kenntniß, und ſie verſtehen gewöhnlich ihr eignes, oft
ſo intereſſantes Leben, nicht kunſtreich aufzufaſſen.
Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges
nicht ſpielen ſehen?

Außer dem erwähnten Drama gab man den
Abend noch ein Melodrama l'Auberge des
Adrets
; eine ganz gemeine ſentimentale Mörder-
und Räubergeſchichte. Aber ein Schauſpieler Na¬
mens Frederic führte eine komiſche Rolle vortreff¬
lich durch. Ich habe lange nicht ſo ſehr gelacht.
Das Merkwürdige bei der Sache iſt, daß das Ko¬
miſche gar nicht in der Rolle liegt, ſondern in dem
ſelbſterfundenen Spiele des Schauſpielers und das
zu ſeinem Charakter und den Reden die er führt gar
nicht paßt. Es iſt ein zerlumpter, niederträchtiger,
boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder.
Er bringt einen Mann im Stücke ſelbſt um, ihm
ſein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen
gutmüthigen Schelm daraus der höchſt ergötzlich iſt.
Zuletzt freilich werden die Poſſen, doch wahrſcheinlich
dem Pöbel und der Kaſſe zu gefallen, etwas gar zu
weit getrieben. Stellen Sie ſich vor: Am Ende

8*
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[115/0127] Doch es iſt merkwürdig! Wenigſtens nach mehreren Erfahrungen die ich gemacht, haben die ſchönen Schau¬ ſpielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menſchen¬ kenntniß, und ſie verſtehen gewöhnlich ihr eignes, oft ſo intereſſantes Leben, nicht kunſtreich aufzufaſſen. Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges nicht ſpielen ſehen? Außer dem erwähnten Drama gab man den Abend noch ein Melodrama l'Auberge des Adrets; eine ganz gemeine ſentimentale Mörder- und Räubergeſchichte. Aber ein Schauſpieler Na¬ mens Frederic führte eine komiſche Rolle vortreff¬ lich durch. Ich habe lange nicht ſo ſehr gelacht. Das Merkwürdige bei der Sache iſt, daß das Ko¬ miſche gar nicht in der Rolle liegt, ſondern in dem ſelbſterfundenen Spiele des Schauſpielers und das zu ſeinem Charakter und den Reden die er führt gar nicht paßt. Es iſt ein zerlumpter, niederträchtiger, boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder. Er bringt einen Mann im Stücke ſelbſt um, ihm ſein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen gutmüthigen Schelm daraus der höchſt ergötzlich iſt. Zuletzt freilich werden die Poſſen, doch wahrſcheinlich dem Pöbel und der Kaſſe zu gefallen, etwas gar zu weit getrieben. Stellen Sie ſich vor: Am Ende 8*

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/127>, abgerufen am 04.12.2024.