Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er
sagt ferner: Triboulet hasse den König, weil er Kö¬
nig sei; die Hofleute, weil sie Vornehme wären;
alle Menschen weil sie keine Buckel hätten. Ich
habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich
halte es für Verläumdung. Es ist überhaupt merk¬
würdig, wie wenig der Dichter sein eignes Werk ver¬
stand, oder vielmehr wie er es zu verkennen sich an¬
stellt, um sich gegen die Beschuldigung der Unsittlich¬
keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufspürt,
daß einer der Hofleute eine schöne Frau, Tochter
oder Schwester hat, verräth er es dem Könige. Der
Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König
Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬
men der damaligen, machte wenig Umstände. Franz
geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, besucht
die Weinschenken und garstigen Häuser und taumelt
singend und betrunken in sein Louvre zurück. Aber
der Dichter ließ dem Könige von seiner ganzen fürst¬
lichen Natur nichts als die Schonungslosigkeit, und
man begreift nicht, warum er seinen liederlichen jun¬
gen Menschen gerade unter den Königen wählte. Wie
ganz anders hat Shakespeare es verstanden, als er
einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬
neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬
stenzeit lustig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich

kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er
ſagt ferner: Triboulet haſſe den König, weil er Kö¬
nig ſei; die Hofleute, weil ſie Vornehme wären;
alle Menſchen weil ſie keine Buckel hätten. Ich
habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich
halte es für Verläumdung. Es iſt überhaupt merk¬
würdig, wie wenig der Dichter ſein eignes Werk ver¬
ſtand, oder vielmehr wie er es zu verkennen ſich an¬
ſtellt, um ſich gegen die Beſchuldigung der Unſittlich¬
keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufſpürt,
daß einer der Hofleute eine ſchöne Frau, Tochter
oder Schweſter hat, verräth er es dem Könige. Der
Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König
Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬
men der damaligen, machte wenig Umſtände. Franz
geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, beſucht
die Weinſchenken und garſtigen Häuſer und taumelt
ſingend und betrunken in ſein Louvre zurück. Aber
der Dichter ließ dem Könige von ſeiner ganzen fürſt¬
lichen Natur nichts als die Schonungsloſigkeit, und
man begreift nicht, warum er ſeinen liederlichen jun¬
gen Menſchen gerade unter den Königen wählte. Wie
ganz anders hat Shakespeare es verſtanden, als er
einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬
neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬
ſtenzeit luſtig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="73"/>
kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er<lb/>
&#x017F;agt ferner: Triboulet ha&#x017F;&#x017F;e den König, weil er Kö¬<lb/>
nig &#x017F;ei; die Hofleute, weil &#x017F;ie Vornehme wären;<lb/>
alle Men&#x017F;chen weil &#x017F;ie keine Buckel hätten. Ich<lb/>
habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich<lb/>
halte es für Verläumdung. Es i&#x017F;t überhaupt merk¬<lb/>
würdig, wie wenig der Dichter &#x017F;ein eignes Werk ver¬<lb/>
&#x017F;tand, oder vielmehr wie er es zu verkennen &#x017F;ich an¬<lb/>
&#x017F;tellt, um &#x017F;ich gegen die Be&#x017F;chuldigung der Un&#x017F;ittlich¬<lb/>
keit zu vertheidigen. So oft Triboulet auf&#x017F;pürt,<lb/>
daß einer der Hofleute eine &#x017F;chöne Frau, Tochter<lb/>
oder Schwe&#x017F;ter hat, verräth er es dem Könige. Der<lb/>
Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König<lb/>
Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬<lb/>
men der damaligen, machte wenig Um&#x017F;tände. Franz<lb/>
geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, be&#x017F;ucht<lb/>
die Wein&#x017F;chenken und gar&#x017F;tigen Häu&#x017F;er und taumelt<lb/>
&#x017F;ingend und betrunken in &#x017F;ein Louvre zurück. Aber<lb/>
der Dichter ließ dem Könige von &#x017F;einer ganzen für&#x017F;<lb/>
lichen Natur nichts als die Schonungslo&#x017F;igkeit, und<lb/>
man begreift nicht, warum er &#x017F;einen liederlichen jun¬<lb/>
gen Men&#x017F;chen gerade unter den Königen wählte. Wie<lb/>
ganz anders hat Shakespeare es ver&#x017F;tanden, als er<lb/>
einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬<lb/>
neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬<lb/>
&#x017F;tenzeit lu&#x017F;tig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0085] kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er ſagt ferner: Triboulet haſſe den König, weil er Kö¬ nig ſei; die Hofleute, weil ſie Vornehme wären; alle Menſchen weil ſie keine Buckel hätten. Ich habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich halte es für Verläumdung. Es iſt überhaupt merk¬ würdig, wie wenig der Dichter ſein eignes Werk ver¬ ſtand, oder vielmehr wie er es zu verkennen ſich an¬ ſtellt, um ſich gegen die Beſchuldigung der Unſittlich¬ keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufſpürt, daß einer der Hofleute eine ſchöne Frau, Tochter oder Schweſter hat, verräth er es dem Könige. Der Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬ men der damaligen, machte wenig Umſtände. Franz geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, beſucht die Weinſchenken und garſtigen Häuſer und taumelt ſingend und betrunken in ſein Louvre zurück. Aber der Dichter ließ dem Könige von ſeiner ganzen fürſt¬ lichen Natur nichts als die Schonungsloſigkeit, und man begreift nicht, warum er ſeinen liederlichen jun¬ gen Menſchen gerade unter den Königen wählte. Wie ganz anders hat Shakespeare es verſtanden, als er einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬ neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬ ſtenzeit luſtig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/85
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/85>, abgerufen am 30.11.2024.