Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬
lerien und man ging und saß viel spazieren. An
solchen Tagen sprossen plötzlich die Stühle aus der
Erde und prangen mit den schönsten Blumen. Blu¬
men -- Weiber. Schon werde ich dichterisch und
habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich
mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch
will ich sobald ich meinen letzten Brief aus Paris
geschrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬
kresse, den Werther oder was sonst das Blut rei¬
nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach!
und das weiße Blut der Augen, was die Menschen
Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht
für kämpfen angerechnet! Doch es sei; glücklich wer
das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen,
die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden,
das mich einlullt wie ein Wiegenlied.

..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen
zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne
Rührung wahrnehmen. Sie sollen Alles erfahren
aber heute ist es zu spät. In meinem nächsten oder
nachnächsten Briefe werde ich die Geschichte zu er¬


Geſtern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬
lerien und man ging und ſaß viel ſpazieren. An
ſolchen Tagen ſproſſen plötzlich die Stühle aus der
Erde und prangen mit den ſchönſten Blumen. Blu¬
men — Weiber. Schon werde ich dichteriſch und
habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich
mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch
will ich ſobald ich meinen letzten Brief aus Paris
geſchrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬
kreſſe, den Werther oder was ſonſt das Blut rei¬
nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach!
und das weiße Blut der Augen, was die Menſchen
Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht
für kämpfen angerechnet! Doch es ſei; glücklich wer
das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen,
die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden,
das mich einlullt wie ein Wiegenlied.

..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen
zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne
Rührung wahrnehmen. Sie ſollen Alles erfahren
aber heute iſt es zu ſpät. In meinem nächſten oder
nachnächſten Briefe werde ich die Geſchichte zu er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0116" n="104"/>
        <div>
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 13. Februar.</dateline><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬<lb/>
lerien und man ging und &#x017F;aß viel &#x017F;pazieren. An<lb/>
&#x017F;olchen Tagen &#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en plötzlich die Stühle aus der<lb/>
Erde und prangen mit den &#x017F;chön&#x017F;ten Blumen. Blu¬<lb/>
men &#x2014; Weiber. Schon werde ich dichteri&#x017F;ch und<lb/>
habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich<lb/>
mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch<lb/>
will ich &#x017F;obald ich meinen letzten Brief aus Paris<lb/>
ge&#x017F;chrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬<lb/>
kre&#x017F;&#x017F;e, den Werther oder was &#x017F;on&#x017F;t das Blut rei¬<lb/>
nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach!<lb/>
und das weiße Blut der Augen, was die Men&#x017F;chen<lb/>
Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht<lb/>
für kämpfen angerechnet! Doch es &#x017F;ei; glücklich wer<lb/>
das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen,<lb/>
die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden,<lb/>
das mich einlullt wie ein Wiegenlied.</p><lb/>
          <p>..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen<lb/>
zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne<lb/>
Rührung wahrnehmen. Sie &#x017F;ollen Alles erfahren<lb/>
aber heute i&#x017F;t es zu &#x017F;pät. In meinem näch&#x017F;ten oder<lb/>
nachnäch&#x017F;ten Briefe werde ich die Ge&#x017F;chichte zu er¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0116] Mittwoch, den 13. Februar. Geſtern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬ lerien und man ging und ſaß viel ſpazieren. An ſolchen Tagen ſproſſen plötzlich die Stühle aus der Erde und prangen mit den ſchönſten Blumen. Blu¬ men — Weiber. Schon werde ich dichteriſch und habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch will ich ſobald ich meinen letzten Brief aus Paris geſchrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬ kreſſe, den Werther oder was ſonſt das Blut rei¬ nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach! und das weiße Blut der Augen, was die Menſchen Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht für kämpfen angerechnet! Doch es ſei; glücklich wer das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen, die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden, das mich einlullt wie ein Wiegenlied. ..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne Rührung wahrnehmen. Sie ſollen Alles erfahren aber heute iſt es zu ſpät. In meinem nächſten oder nachnächſten Briefe werde ich die Geſchichte zu er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/116
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/116>, abgerufen am 21.11.2024.