liberale Spitzbubenschule steht Ihnen zu jeder Zeit offen.
Es wird jetzt von sämmtlichen Regierungen ein allgemeines Europäisches Treibjagen auf die ehrlichen Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht mehr, wo es sich vor all den Hunden und Jägern verstecken soll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal von einem Weisen etwas lernt, ein unwissender Mensch aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können Sie sich darauf verlassen, daß es gerade eine Thor¬ heit und etwas Falsches sein wird, was sie sich an¬ eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in sei¬ nem berühmten Werke: von dem Geiste der Ge¬ setze, den Grundsatz aufgestellt: Die Tugend sei das Prinzip der Republiken, wie die Ehre das der Monarchie. Die ganze Weltgeschichte spricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬ blikanischen Gesinnungen in Europa nichts zu spüren; die Tugend, wo sie sich zeigte, flößte also keine Be¬ sorgnisse ein und die Fürsten trugen kein Bedenken einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬ zuvertrauen. Jetzt aber, da sich die republikanischen Neigungen täglich stärker aussprechen, erinnert man sich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung sei, und man sucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬ rotten. Auch werden die Staatswälder täglich siche¬
liberale Spitzbubenſchule ſteht Ihnen zu jeder Zeit offen.
Es wird jetzt von ſämmtlichen Regierungen ein allgemeines Europäiſches Treibjagen auf die ehrlichen Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht mehr, wo es ſich vor all den Hunden und Jägern verſtecken ſoll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal von einem Weiſen etwas lernt, ein unwiſſender Menſch aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können Sie ſich darauf verlaſſen, daß es gerade eine Thor¬ heit und etwas Falſches ſein wird, was ſie ſich an¬ eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in ſei¬ nem berühmten Werke: von dem Geiſte der Ge¬ ſetze, den Grundſatz aufgeſtellt: Die Tugend ſei das Prinzip der Republiken, wie die Ehre das der Monarchie. Die ganze Weltgeſchichte ſpricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬ blikaniſchen Geſinnungen in Europa nichts zu ſpüren; die Tugend, wo ſie ſich zeigte, flößte alſo keine Be¬ ſorgniſſe ein und die Fürſten trugen kein Bedenken einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬ zuvertrauen. Jetzt aber, da ſich die republikaniſchen Neigungen täglich ſtärker ausſprechen, erinnert man ſich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung ſei, und man ſucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬ rotten. Auch werden die Staatswälder täglich ſiche¬
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liberale Spitzbubenſchule ſteht Ihnen zu jeder Zeit
offen.
Es wird jetzt von ſämmtlichen Regierungen ein
allgemeines Europäiſches Treibjagen auf die ehrlichen
Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht
mehr, wo es ſich vor all den Hunden und Jägern
verſtecken ſoll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal
von einem Weiſen etwas lernt, ein unwiſſender Menſch
aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können
Sie ſich darauf verlaſſen, daß es gerade eine Thor¬
heit und etwas Falſches ſein wird, was ſie ſich an¬
eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in ſei¬
nem berühmten Werke: von dem Geiſte der Ge¬
ſetze, den Grundſatz aufgeſtellt: Die Tugend ſei
das Prinzip der Republiken, wie die Ehre
das der Monarchie. Die ganze Weltgeſchichte
ſpricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein
Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬
blikaniſchen Geſinnungen in Europa nichts zu ſpüren;
die Tugend, wo ſie ſich zeigte, flößte alſo keine Be¬
ſorgniſſe ein und die Fürſten trugen kein Bedenken
einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬
zuvertrauen. Jetzt aber, da ſich die republikaniſchen
Neigungen täglich ſtärker ausſprechen, erinnert man
ſich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung ſei, und
man ſucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬
rotten. Auch werden die Staatswälder täglich ſiche¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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