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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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Vasallen Oesterreichs hinab, um später von ihm wie
ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen
seine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den
despotischen Mächten, statt daß es die erste unter
den Freisinnigen könnte sein. Herr von Ancillon,
der einzige dirigirende Minister in ganz Deutschland,
der gut und schön schreiben kann -- warum ver¬
theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des
Preußischen Regierungssystems gegen die Unvernunft
der revolutionären Schriftsteller? Wir verlangen
nicht, daß er, ein deutscher Minister, selbst, unter
seinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern spreche.
Wir wissen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬
wählten erscheint, und Angesicht in Angesicht mit
ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja
seine eigenhändigen Gesetztafeln durch einen seiner
Moses schicken und versuchen ob wir dem goldenen
Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er
rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle
Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an,
daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen
Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten
wüthen, so ist das so natürlich als verzeihlich. Was
sollten wir denn anders thun, da wir keine Macht,
sondern nur Recht haben, und doch der Geist einen
Körper haben muß, daß ihn auch die erkennen, die
keine Sonntagskinder sind? Wenn aber die Organe

Vaſallen Oeſterreichs hinab, um ſpäter von ihm wie
ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen
ſeine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den
despotiſchen Mächten, ſtatt daß es die erſte unter
den Freiſinnigen könnte ſein. Herr von Ancillon,
der einzige dirigirende Miniſter in ganz Deutſchland,
der gut und ſchön ſchreiben kann — warum ver¬
theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des
Preußiſchen Regierungsſyſtems gegen die Unvernunft
der revolutionären Schriftſteller? Wir verlangen
nicht, daß er, ein deutſcher Miniſter, ſelbſt, unter
ſeinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern ſpreche.
Wir wiſſen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬
wählten erſcheint, und Angeſicht in Angeſicht mit
ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja
ſeine eigenhändigen Geſetztafeln durch einen ſeiner
Moſes ſchicken und verſuchen ob wir dem goldenen
Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er
rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle
Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an,
daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen
Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten
wüthen, ſo iſt das ſo natürlich als verzeihlich. Was
ſollten wir denn anders thun, da wir keine Macht,
ſondern nur Recht haben, und doch der Geiſt einen
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[172/0184] Vaſallen Oeſterreichs hinab, um ſpäter von ihm wie ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen ſeine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den despotiſchen Mächten, ſtatt daß es die erſte unter den Freiſinnigen könnte ſein. Herr von Ancillon, der einzige dirigirende Miniſter in ganz Deutſchland, der gut und ſchön ſchreiben kann — warum ver¬ theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des Preußiſchen Regierungsſyſtems gegen die Unvernunft der revolutionären Schriftſteller? Wir verlangen nicht, daß er, ein deutſcher Miniſter, ſelbſt, unter ſeinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern ſpreche. Wir wiſſen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬ wählten erſcheint, und Angeſicht in Angeſicht mit ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja ſeine eigenhändigen Geſetztafeln durch einen ſeiner Moſes ſchicken und verſuchen ob wir dem goldenen Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an, daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten wüthen, ſo iſt das ſo natürlich als verzeihlich. Was ſollten wir denn anders thun, da wir keine Macht, ſondern nur Recht haben, und doch der Geiſt einen Körper haben muß, daß ihn auch die erkennen, die keine Sonntagskinder ſind? Wenn aber die Organe

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/184>, abgerufen am 18.05.2024.