Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.wenn ihre Unterthanen sie nicht für so niederträchtig wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0024" n="12"/> wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig<lb/> halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle<lb/> Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für<lb/> jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen<lb/> verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre<lb/> Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren<lb/> Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk<lb/> betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei.<lb/> Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut<lb/> er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen,<lb/> ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal<lb/> nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das<lb/> Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt<lb/> kein Ende. Das iſt <hi rendition="#g">wörtlich wahr</hi>. War doch<lb/> neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen:<lb/> „Die Polen hatten <hi rendition="#g">alle ihre moraliſchen und</hi><lb/> „<hi rendition="#g">phyſiſchen Kräfte</hi> der Regierung zu verdanken,<lb/> „die ſie ſchmählich verriethen, <hi rendition="#g">ob ſie ihnen gleich</hi><lb/> „<hi rendition="#g">die Mittel verſchafft hat</hi>, mit denen ein<lb/> „achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“<lb/> Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬<lb/> rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich<lb/> der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬<lb/> brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie<lb/> den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit<lb/> zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als<lb/> der Liebe zu ihr.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [12/0024]
wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig
halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle
Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für
jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen
verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre
Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren
Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk
betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei.
Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut
er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen,
ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal
nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das
Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt
kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch
neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen:
„Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und
„phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken,
„die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich
„die Mittel verſchafft hat, mit denen ein
„achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“
Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬
rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich
der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬
brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie
den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit
zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als
der Liebe zu ihr.
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