Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬ Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0043" n="31"/> <p>Die Rolle des Figaro wurde von <hi rendition="#g">Mon¬<lb/> roſe</hi> ganz unleidlich dargeſtellt. Dieſer Monroſe<lb/> iſt ſonſt einer der beſten Schauſpieler des Theater<lb/> Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>ais, beſonders ausgezeichnet in den ſpitzbübi¬<lb/> ſchen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben<lb/> die metallene Gefühlloſigkeit und Unverſchämtheit<lb/> jener ſpitzbübiſchen Bedienten wußte er nicht los zu<lb/> werden, und Figaro's Geiſt, Grazie und Sentimen¬<lb/> talität verſtand er nicht aufzufaſſen, oder verſtand ſie<lb/> nicht darzuſtellen. Die Melodie ſeines Spiels und<lb/> Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zuſammen.<lb/> So war dieſe Aufführung eine der langweiligſten die<lb/> man ſich denken kann, und was die Unluſt noch ver¬<lb/> mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, deſſen<lb/> rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die<lb/> Pariſer Komödie ſo anziehend macht. Doch eben<lb/> dieſe Apathie der Zuſchauer intereſſirte mich auf eine<lb/> andere Art und beſchäftigte mich den ganzen Abend.<lb/> Man beſucht einen Freund in ſeiner Krankheit oder<lb/> in den Tagen ſeiner Wiedergeneſung, da hört er<lb/> nicht auf von ſeinen Schmerzen oder von ſeiner Er¬<lb/> leichterung zu ſprechen, zu jammern oder zu lächeln;<lb/> man beſuche ihn vier Wochen ſpäter und frage ihn<lb/> wie er ſich befindet — er verſteht die Frage nicht<lb/> mehr. Ganz ſo erſchien mir das heutige Frankreich,<lb/> wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts,<lb/> mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0043]
Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬
roſe ganz unleidlich dargeſtellt. Dieſer Monroſe
iſt ſonſt einer der beſten Schauſpieler des Theater
Français, beſonders ausgezeichnet in den ſpitzbübi¬
ſchen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben
die metallene Gefühlloſigkeit und Unverſchämtheit
jener ſpitzbübiſchen Bedienten wußte er nicht los zu
werden, und Figaro's Geiſt, Grazie und Sentimen¬
talität verſtand er nicht aufzufaſſen, oder verſtand ſie
nicht darzuſtellen. Die Melodie ſeines Spiels und
Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zuſammen.
So war dieſe Aufführung eine der langweiligſten die
man ſich denken kann, und was die Unluſt noch ver¬
mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, deſſen
rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die
Pariſer Komödie ſo anziehend macht. Doch eben
dieſe Apathie der Zuſchauer intereſſirte mich auf eine
andere Art und beſchäftigte mich den ganzen Abend.
Man beſucht einen Freund in ſeiner Krankheit oder
in den Tagen ſeiner Wiedergeneſung, da hört er
nicht auf von ſeinen Schmerzen oder von ſeiner Er¬
leichterung zu ſprechen, zu jammern oder zu lächeln;
man beſuche ihn vier Wochen ſpäter und frage ihn
wie er ſich befindet — er verſteht die Frage nicht
mehr. Ganz ſo erſchien mir das heutige Frankreich,
wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts,
mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat
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