Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und zerschlagene Throne hinein, und ebnet den Boden
mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann
bringt die Freiheit, Ihr Deutsche dem Norden, Ihr
Franzosen dem Süden, und dann ist überall wo ein
Mensch athmet euer Vaterland, und Liebe eure
Religion.

Sie sind neugierig? Das ist merkwürdig.
So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie
gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von
Krünitz im Conversationslexicon, in der Biographie
universelle
, im Bayle, in der großen englischen
Weltgeschichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran,
in meinen gesammelten Schriften, in keinem dieser
Werke ist auch nur ein Wort zu finden das auf die
Existenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es ist die
merkwürdigste Entdeckung seit der Sündfluth. Aber
es thut mir leid, ich muß Sie schmachten lassen.
Aufrichtig zu sprechen, es ist etwas in dieser Ge¬
schichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich
reiflich zu überlegen, wie ich sie Ihnen erzählen soll,
ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬
schweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe
Wahrheit zu sagen, das ist eine künstliche Drechsler¬
arbeit; ganz zu lügen ist viel leichter. Uebrigens
kann ich Sie versichern, daß die Geschichte gar nicht
so romantisch ist, als Sie sich vielleicht vorstellen.
Ich habe mehr wissentschaftliches als Kunstinteresse

und zerſchlagene Throne hinein, und ebnet den Boden
mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann
bringt die Freiheit, Ihr Deutſche dem Norden, Ihr
Franzoſen dem Süden, und dann iſt überall wo ein
Menſch athmet euer Vaterland, und Liebe eure
Religion.

Sie ſind neugierig? Das iſt merkwürdig.
So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie
gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von
Krünitz im Converſationslexicon, in der Biographie
universelle
, im Bayle, in der großen engliſchen
Weltgeſchichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran,
in meinen geſammelten Schriften, in keinem dieſer
Werke iſt auch nur ein Wort zu finden das auf die
Exiſtenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es iſt die
merkwürdigſte Entdeckung ſeit der Sündfluth. Aber
es thut mir leid, ich muß Sie ſchmachten laſſen.
Aufrichtig zu ſprechen, es iſt etwas in dieſer Ge¬
ſchichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich
reiflich zu überlegen, wie ich ſie Ihnen erzählen ſoll,
ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬
ſchweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe
Wahrheit zu ſagen, das iſt eine künſtliche Drechsler¬
arbeit; ganz zu lügen iſt viel leichter. Uebrigens
kann ich Sie verſichern, daß die Geſchichte gar nicht
ſo romantiſch iſt, als Sie ſich vielleicht vorſtellen.
Ich habe mehr wiſſentſchaftliches als Kunſtintereſſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0064" n="52"/>
und zer&#x017F;chlagene Throne hinein, und ebnet den Boden<lb/>
mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann<lb/>
bringt die Freiheit, Ihr Deut&#x017F;che dem Norden, Ihr<lb/>
Franzo&#x017F;en dem Süden, und dann i&#x017F;t überall wo ein<lb/>
Men&#x017F;ch athmet euer Vaterland, und Liebe eure<lb/>
Religion.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;ind neugierig? Das i&#x017F;t merkwürdig.<lb/>
So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie<lb/>
gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von<lb/>
Krünitz im Conver&#x017F;ationslexicon, in der <hi rendition="#aq">Biographie<lb/>
universelle</hi>, im Bayle, in der großen engli&#x017F;chen<lb/>
Weltge&#x017F;chichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran,<lb/>
in meinen ge&#x017F;ammelten Schriften, in keinem die&#x017F;er<lb/>
Werke i&#x017F;t auch nur ein Wort zu finden das auf die<lb/>
Exi&#x017F;tenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es i&#x017F;t die<lb/>
merkwürdig&#x017F;te Entdeckung &#x017F;eit der Sündfluth. Aber<lb/>
es thut mir leid, ich muß Sie &#x017F;chmachten la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Aufrichtig zu &#x017F;prechen, es i&#x017F;t etwas in die&#x017F;er Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich<lb/>
reiflich zu überlegen, wie ich &#x017F;ie Ihnen erzählen &#x017F;oll,<lb/>
ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬<lb/>
&#x017F;chweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe<lb/>
Wahrheit zu &#x017F;agen, das i&#x017F;t eine kün&#x017F;tliche Drechsler¬<lb/>
arbeit; ganz zu lügen i&#x017F;t viel leichter. Uebrigens<lb/>
kann ich Sie ver&#x017F;ichern, daß die Ge&#x017F;chichte gar nicht<lb/>
&#x017F;o romanti&#x017F;ch i&#x017F;t, als Sie &#x017F;ich vielleicht vor&#x017F;tellen.<lb/>
Ich habe mehr wi&#x017F;&#x017F;ent&#x017F;chaftliches als Kun&#x017F;tintere&#x017F;&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0064] und zerſchlagene Throne hinein, und ebnet den Boden mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann bringt die Freiheit, Ihr Deutſche dem Norden, Ihr Franzoſen dem Süden, und dann iſt überall wo ein Menſch athmet euer Vaterland, und Liebe eure Religion. Sie ſind neugierig? Das iſt merkwürdig. So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von Krünitz im Converſationslexicon, in der Biographie universelle, im Bayle, in der großen engliſchen Weltgeſchichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran, in meinen geſammelten Schriften, in keinem dieſer Werke iſt auch nur ein Wort zu finden das auf die Exiſtenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es iſt die merkwürdigſte Entdeckung ſeit der Sündfluth. Aber es thut mir leid, ich muß Sie ſchmachten laſſen. Aufrichtig zu ſprechen, es iſt etwas in dieſer Ge¬ ſchichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich reiflich zu überlegen, wie ich ſie Ihnen erzählen ſoll, ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬ ſchweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe Wahrheit zu ſagen, das iſt eine künſtliche Drechsler¬ arbeit; ganz zu lügen iſt viel leichter. Uebrigens kann ich Sie verſichern, daß die Geſchichte gar nicht ſo romantiſch iſt, als Sie ſich vielleicht vorſtellen. Ich habe mehr wiſſentſchaftliches als Kunſtintereſſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/64
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/64>, abgerufen am 18.05.2024.