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Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696.

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Die Würckungen
unserm Gemüth auszurotten/ die sich durch die Länge der Zeit
so sest eingewurtzelt hat. Doch ein näherer Zufall heisset sie ihr
Mitleyden von dem Könige abwenden/ und ihrem geliebtesten
Fräulein geben.

So lange dieses geliebte Kind die Frau Mutter nicht besu-
chen dürffen/ ware es in eine euserste Traurigkeit gerathen.
Sie hatte einen Eckel vor allem Essen/ und nahm fast gar keine
Speise zu sich. Je mehr der Graf sie tröstete/ je mehr sie es
kränckete. Sie versiel endlich in ein so hefftig Fieber/ daß sie
dabey im Haupte verwirret wurde. Sie ruffete stets nach ihrer
lieben Frau Mutter/ und wolte keinen Bissen essen/ ehe sie sie
gesehen hätte. Wann der Graf an ihr Bette kam/ wendete
sie das Gesichte von ihm/ und man mochte sie fragen/ was man
wolte/ gab sie keine andere Antwort/ als sie wolte ihre Frau
Mutter sehen. Welches auch endlich der Graf/ der diese Toch-
ter über die maßen liebete/ muste zugeben/ doch wolte er bey
diser Besuchung nicht gegenwärtig seyn.

Die Gräfin/ als sie Erlaubniß hätte/ zu ihr zu gehen/ lieff
eilends nach ihrer Kammer/ so bald sie aber das Fräulein sä-
he/ nahm selbiges alle Kräffte znsammen/ sich aufzurichten/ und
sie zu umfangen. Die Gräfin küßete sie mit einer brennenden
mütterlichen Liebe/ und blieb lange auf ihrem Gesichte liegen.
Endlich ermahnete sie diese liebe Tochter/ daß sie etwas Speise
geniessen müste/ welche auch das Kind von ihren Händen ge-
horsamlich zu sich nahm. Diese Visite gab dem Fräulein merck-
liche Befferung/ und die Gräfin blieb biß zu Abends bey ihr.

Wie aber der Graf das Kind verlangte zu sehen/ so ließ er
befehlen, daß sich die Gemahlin wieder nach ihrem Zimmer
begeben solte. Diese Ordre ware vor Mutter und Tochter
höchst grausam. Sie umarmeten einander/ und schrien/ so er,
bärmlich/ daß es alle Umstehende bewoge. Doch der Graf wol-
te seinem Gebot gehorsamet wissen/ und muste man also die
Mutter mit Gewalt von dem Fräulein reissen.

Nach ihrem Abseyn/ trat der Graf in das Zimmer ein/ und
traf das Kind in einem so gefährlichen Zustande an/ als es je-
mahls gewesen. Doch er war so eigensinnig/ daß er verbot/
die Gräfin wieder zu der krancken Tochter zu lassen/ es möchte
auch mit ihr ablauffen/ wie es wolte: darauf verdoppelt sich
die Fieber/ und dieses schöne Fräulein stirbet in den Armen
ihres Vaters.

Das

Die Wuͤrckungen
unſerm Gemuͤth auszurotten/ die ſich durch die Laͤnge der Zeit
ſo ſeſt eingewurtzelt hat. Doch ein naͤherer Zufall heiſſet ſie ihr
Mitleyden von dem Koͤnige abwenden/ und ihrem geliebteſten
Fraͤulein geben.

So lange dieſes geliebte Kind die Frau Mutter nicht beſu-
chen dürffen/ ware es in eine euſerſte Traurigkeit gerathen.
Sie hatte einen Eckel vor allem Eſſen/ und nahm faſt gar keine
Speiſe zu ſich. Je mehr der Graf ſie troͤſtete/ je mehr ſie es
kraͤnckete. Sie verſiel endlich in ein ſo hefftig Fieber/ daß ſie
dabey im Haupte verwirret wurde. Sie ruffete ſtets nach ihrer
lieben Frau Mutter/ und wolte keinen Biſſen eſſen/ ehe ſie ſie
geſehen haͤtte. Wann der Graf an ihr Bette kam/ wendete
ſie das Geſichte von ihm/ und man mochte ſie fragen/ was man
wolte/ gab ſie keine andere Antwort/ als ſie wolte ihre Frau
Mutter ſehen. Welches auch endlich der Graf/ der dieſe Toch-
ter über die maßen liebete/ muſte zugeben/ doch wolte er bey
diſer Beſuchung nicht gegenwaͤrtig ſeyn.

Die Graͤfin/ als ſie Erlaubniß haͤtte/ zu ihr zu gehen/ lieff
eilends nach ihrer Kammer/ ſo bald ſie aber das Fraͤulein ſaͤ-
he/ nahm ſelbiges alle Kraͤffte znſammen/ ſich aufzurichten/ und
ſie zu umfangen. Die Graͤfin kuͤßete ſie mit einer brennenden
muͤtterlichen Liebe/ und blieb lange auf ihrem Geſichte liegen.
Endlich ermahnete ſie dieſe liebe Tochter/ daß ſie etwas Speiſe
genieſſen muͤſte/ welche auch das Kind von ihren Haͤnden ge-
horſamlich zu ſich nahm. Dieſe Viſite gab dem Fraͤulein merck-
liche Befferung/ und die Graͤfin blieb biß zu Abends bey ihr.

Wie aber der Graf das Kind verlangte zu ſehen/ ſo ließ er
befehlen, daß ſich die Gemahlin wieder nach ihrem Zimmer
begeben ſolte. Dieſe Ordre ware vor Mutter und Tochter
hoͤchſt grauſam. Sie umarmeten einander/ und ſchrien/ ſo er,
baͤrmlich/ daß es alle Umſtehende bewoge. Doch der Graf wol-
te ſeinem Gebot gehorſamet wiſſen/ und muſte man alſo die
Mutter mit Gewalt von dem Fraͤulein reiſſen.

Nach ihrem Abſeyn/ trat der Graf in das Zimmer ein/ und
traf das Kind in einem ſo gefährlichen Zuſtande an/ als es je-
mahls geweſen. Doch er war ſo eigenſinnig/ daß er verbot/
die Graͤfin wieder zu der krancken Tochter zu laſſen/ es moͤchte
auch mit ihr ablauffen/ wie es wolte: darauf verdoppelt ſich
die Fieber/ und dieſes ſchoͤne Fraͤulein ſtirbet in den Armen
ihres Vaters.

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[186/0210] Die Wuͤrckungen unſerm Gemuͤth auszurotten/ die ſich durch die Laͤnge der Zeit ſo ſeſt eingewurtzelt hat. Doch ein naͤherer Zufall heiſſet ſie ihr Mitleyden von dem Koͤnige abwenden/ und ihrem geliebteſten Fraͤulein geben. So lange dieſes geliebte Kind die Frau Mutter nicht beſu- chen dürffen/ ware es in eine euſerſte Traurigkeit gerathen. Sie hatte einen Eckel vor allem Eſſen/ und nahm faſt gar keine Speiſe zu ſich. Je mehr der Graf ſie troͤſtete/ je mehr ſie es kraͤnckete. Sie verſiel endlich in ein ſo hefftig Fieber/ daß ſie dabey im Haupte verwirret wurde. Sie ruffete ſtets nach ihrer lieben Frau Mutter/ und wolte keinen Biſſen eſſen/ ehe ſie ſie geſehen haͤtte. Wann der Graf an ihr Bette kam/ wendete ſie das Geſichte von ihm/ und man mochte ſie fragen/ was man wolte/ gab ſie keine andere Antwort/ als ſie wolte ihre Frau Mutter ſehen. Welches auch endlich der Graf/ der dieſe Toch- ter über die maßen liebete/ muſte zugeben/ doch wolte er bey diſer Beſuchung nicht gegenwaͤrtig ſeyn. Die Graͤfin/ als ſie Erlaubniß haͤtte/ zu ihr zu gehen/ lieff eilends nach ihrer Kammer/ ſo bald ſie aber das Fraͤulein ſaͤ- he/ nahm ſelbiges alle Kraͤffte znſammen/ ſich aufzurichten/ und ſie zu umfangen. Die Graͤfin kuͤßete ſie mit einer brennenden muͤtterlichen Liebe/ und blieb lange auf ihrem Geſichte liegen. Endlich ermahnete ſie dieſe liebe Tochter/ daß ſie etwas Speiſe genieſſen muͤſte/ welche auch das Kind von ihren Haͤnden ge- horſamlich zu ſich nahm. Dieſe Viſite gab dem Fraͤulein merck- liche Befferung/ und die Graͤfin blieb biß zu Abends bey ihr. Wie aber der Graf das Kind verlangte zu ſehen/ ſo ließ er befehlen, daß ſich die Gemahlin wieder nach ihrem Zimmer begeben ſolte. Dieſe Ordre ware vor Mutter und Tochter hoͤchſt grauſam. Sie umarmeten einander/ und ſchrien/ ſo er, baͤrmlich/ daß es alle Umſtehende bewoge. Doch der Graf wol- te ſeinem Gebot gehorſamet wiſſen/ und muſte man alſo die Mutter mit Gewalt von dem Fraͤulein reiſſen. Nach ihrem Abſeyn/ trat der Graf in das Zimmer ein/ und traf das Kind in einem ſo gefährlichen Zuſtande an/ als es je- mahls geweſen. Doch er war ſo eigenſinnig/ daß er verbot/ die Graͤfin wieder zu der krancken Tochter zu laſſen/ es moͤchte auch mit ihr ablauffen/ wie es wolte: darauf verdoppelt ſich die Fieber/ und dieſes ſchoͤne Fraͤulein ſtirbet in den Armen ihres Vaters. Das

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Zitationshilfe: Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696/210>, abgerufen am 21.11.2024.