Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

[Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.
Potenz derselben proportional (l. c.), was sich nur für die
leichter coercibeln Gase, besonders Kohlensäure, bestätigte.
Bei den am schwersten coercibeln Gase fanden einzelne spätere
Beobachter für den Temperaturcoefficienten der Reibungs-
constante nahe Uebereinstimmung mit der hier entwickelten
Formel, die meisten aber einen zwischen dem hier durch
Rechnung und dem von Maxwell experimentell gefundenen
etwa in der Mitte liegenden Werth.1)

Es ist da zunächst zu bemerken, dass eine raschere Zu-
nahme der Reibungsconstante mit wachsender Temperatur als
die Quadratwurzel der absoluten Temperatur nicht aus der Un-
genauigkeit unserer Rechnung erklärt werden kann, denn man
sieht sofort Folgendes ein: Wenn ohne Aenderung der Dichte
bloss die Temperatur erhöht wird, so bleibt unter Voraussetzung
elastischer, unendlich wenig deformirbarer Moleküle die Mole-
kularbewegung im Mittel sonst ganz unverändert, nur wird
deren Geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der absoluten
Temperatur proportional vermehrt. Es erscheint gewisser-
maassen bloss die Zeit in diesem Verhältnisse verkürzt, und
daraus folgt sofort, dass auch das in der Zeiteinheit über-
tragene Bewegungsmoment im selben Maasse zunehmen muss.
Dagegen könnte nach Stefan2) s mit wachsender Temperatur
abnehmen. Dies würde folgende Bedeutung haben. Die Mole-
küle sind nicht absolut starr, sondern platten sich beim Stosse
etwas ab, wodurch ihre Durchmesser verkleinert erscheinen,
und zwar um so mehr, je höher die Temperatur des Gases ist.
Maxwell nahm sogar an, dass die Moleküle Kraftcentra sind,
welche in grosser Entfernung eine nicht erhebliche, bei sehr
bedeutender Annäherung aber eine mit der Annäherung sehr
rasch wachsende abstossende Kraft auf einander ausüben,
welche also eine passend zu wählende Function der Entfernung
ist. Um gerade den von ihm gefundenen Temperaturcoefficienten
der inneren Reibung zu erklären, setzt er diese Function gleich
der reciproken fünften Potenz der Entfernung. Ich bemerkte
einmal, dass man alle wesentlichen Eigenschaften der Gase

1) Vgl. O. E. Meyer, Theorie der Gase. Breslau, Maruschke &
Berendt. 1877. S. 157 u. f.
2) Wiener Sitzungsber. Bd. 65. 2. Abth. S. 339. 1872.

[Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.
Potenz derselben proportional (l. c.), was sich nur für die
leichter coërcibeln Gase, besonders Kohlensäure, bestätigte.
Bei den am schwersten coërcibeln Gase fanden einzelne spätere
Beobachter für den Temperaturcoëfficienten der Reibungs-
constante nahe Uebereinstimmung mit der hier entwickelten
Formel, die meisten aber einen zwischen dem hier durch
Rechnung und dem von Maxwell experimentell gefundenen
etwa in der Mitte liegenden Werth.1)

Es ist da zunächst zu bemerken, dass eine raschere Zu-
nahme der Reibungsconstante mit wachsender Temperatur als
die Quadratwurzel der absoluten Temperatur nicht aus der Un-
genauigkeit unserer Rechnung erklärt werden kann, denn man
sieht sofort Folgendes ein: Wenn ohne Aenderung der Dichte
bloss die Temperatur erhöht wird, so bleibt unter Voraussetzung
elastischer, unendlich wenig deformirbarer Moleküle die Mole-
kularbewegung im Mittel sonst ganz unverändert, nur wird
deren Geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der absoluten
Temperatur proportional vermehrt. Es erscheint gewisser-
maassen bloss die Zeit in diesem Verhältnisse verkürzt, und
daraus folgt sofort, dass auch das in der Zeiteinheit über-
tragene Bewegungsmoment im selben Maasse zunehmen muss.
Dagegen könnte nach Stefan2) s mit wachsender Temperatur
abnehmen. Dies würde folgende Bedeutung haben. Die Mole-
küle sind nicht absolut starr, sondern platten sich beim Stosse
etwas ab, wodurch ihre Durchmesser verkleinert erscheinen,
und zwar um so mehr, je höher die Temperatur des Gases ist.
Maxwell nahm sogar an, dass die Moleküle Kraftcentra sind,
welche in grosser Entfernung eine nicht erhebliche, bei sehr
bedeutender Annäherung aber eine mit der Annäherung sehr
rasch wachsende abstossende Kraft auf einander ausüben,
welche also eine passend zu wählende Function der Entfernung
ist. Um gerade den von ihm gefundenen Temperaturcoëfficienten
der inneren Reibung zu erklären, setzt er diese Function gleich
der reciproken fünften Potenz der Entfernung. Ich bemerkte
einmal, dass man alle wesentlichen Eigenschaften der Gase

1) Vgl. O. E. Meyer, Theorie der Gase. Breslau, Maruschke &
Berendt. 1877. S. 157 u. f.
2) Wiener Sitzungsber. Bd. 65. 2. Abth. S. 339. 1872.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="85"/><fw place="top" type="header">[Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.</fw><lb/>
Potenz derselben proportional (l. c.), was sich nur für die<lb/>
leichter coërcibeln Gase, besonders Kohlensäure, bestätigte.<lb/>
Bei den am schwersten coërcibeln Gase fanden einzelne spätere<lb/>
Beobachter für den Temperaturcoëfficienten der Reibungs-<lb/>
constante nahe Uebereinstimmung mit der hier entwickelten<lb/>
Formel, die meisten aber einen zwischen dem hier durch<lb/>
Rechnung und dem von <hi rendition="#g">Maxwell</hi> experimentell gefundenen<lb/>
etwa in der Mitte liegenden Werth.<note place="foot" n="1)">Vgl. O. E. <hi rendition="#g">Meyer</hi>, Theorie der Gase. Breslau, Maruschke &amp;<lb/>
Berendt. 1877. S. 157 u. f.</note></p><lb/>
          <p>Es ist da zunächst zu bemerken, dass eine raschere Zu-<lb/>
nahme der Reibungsconstante mit wachsender Temperatur als<lb/>
die Quadratwurzel der absoluten Temperatur nicht aus der Un-<lb/>
genauigkeit unserer Rechnung erklärt werden kann, denn man<lb/>
sieht sofort Folgendes ein: Wenn ohne Aenderung der Dichte<lb/>
bloss die Temperatur erhöht wird, so bleibt unter Voraussetzung<lb/>
elastischer, unendlich wenig deformirbarer Moleküle die Mole-<lb/>
kularbewegung im Mittel sonst ganz unverändert, nur wird<lb/>
deren Geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der absoluten<lb/>
Temperatur proportional vermehrt. Es erscheint gewisser-<lb/>
maassen bloss die Zeit in diesem Verhältnisse verkürzt, und<lb/>
daraus folgt sofort, dass auch das in der Zeiteinheit über-<lb/>
tragene Bewegungsmoment im selben Maasse zunehmen muss.<lb/>
Dagegen könnte nach <hi rendition="#g">Stefan</hi><note place="foot" n="2)">Wiener Sitzungsber. Bd. 65. 2. Abth. S. 339. 1872.</note> <hi rendition="#i">s</hi> mit wachsender Temperatur<lb/>
abnehmen. Dies würde folgende Bedeutung haben. Die Mole-<lb/>
küle sind nicht absolut starr, sondern platten sich beim Stosse<lb/>
etwas ab, wodurch ihre Durchmesser verkleinert erscheinen,<lb/>
und zwar um so mehr, je höher die Temperatur des Gases ist.<lb/><hi rendition="#g">Maxwell</hi> nahm sogar an, dass die Moleküle Kraftcentra sind,<lb/>
welche in grosser Entfernung eine nicht erhebliche, bei sehr<lb/>
bedeutender Annäherung aber eine mit der Annäherung sehr<lb/>
rasch wachsende abstossende Kraft auf einander ausüben,<lb/>
welche also eine passend zu wählende Function der Entfernung<lb/>
ist. Um gerade den von ihm gefundenen Temperaturcoëfficienten<lb/>
der inneren Reibung zu erklären, setzt er diese Function gleich<lb/>
der reciproken fünften Potenz der Entfernung. Ich bemerkte<lb/>
einmal, dass man alle wesentlichen Eigenschaften der Gase<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0099] [Gleich. 91] § 12. Innere Reibung. Potenz derselben proportional (l. c.), was sich nur für die leichter coërcibeln Gase, besonders Kohlensäure, bestätigte. Bei den am schwersten coërcibeln Gase fanden einzelne spätere Beobachter für den Temperaturcoëfficienten der Reibungs- constante nahe Uebereinstimmung mit der hier entwickelten Formel, die meisten aber einen zwischen dem hier durch Rechnung und dem von Maxwell experimentell gefundenen etwa in der Mitte liegenden Werth. 1) Es ist da zunächst zu bemerken, dass eine raschere Zu- nahme der Reibungsconstante mit wachsender Temperatur als die Quadratwurzel der absoluten Temperatur nicht aus der Un- genauigkeit unserer Rechnung erklärt werden kann, denn man sieht sofort Folgendes ein: Wenn ohne Aenderung der Dichte bloss die Temperatur erhöht wird, so bleibt unter Voraussetzung elastischer, unendlich wenig deformirbarer Moleküle die Mole- kularbewegung im Mittel sonst ganz unverändert, nur wird deren Geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur proportional vermehrt. Es erscheint gewisser- maassen bloss die Zeit in diesem Verhältnisse verkürzt, und daraus folgt sofort, dass auch das in der Zeiteinheit über- tragene Bewegungsmoment im selben Maasse zunehmen muss. Dagegen könnte nach Stefan 2) s mit wachsender Temperatur abnehmen. Dies würde folgende Bedeutung haben. Die Mole- küle sind nicht absolut starr, sondern platten sich beim Stosse etwas ab, wodurch ihre Durchmesser verkleinert erscheinen, und zwar um so mehr, je höher die Temperatur des Gases ist. Maxwell nahm sogar an, dass die Moleküle Kraftcentra sind, welche in grosser Entfernung eine nicht erhebliche, bei sehr bedeutender Annäherung aber eine mit der Annäherung sehr rasch wachsende abstossende Kraft auf einander ausüben, welche also eine passend zu wählende Function der Entfernung ist. Um gerade den von ihm gefundenen Temperaturcoëfficienten der inneren Reibung zu erklären, setzt er diese Function gleich der reciproken fünften Potenz der Entfernung. Ich bemerkte einmal, dass man alle wesentlichen Eigenschaften der Gase 1) Vgl. O. E. Meyer, Theorie der Gase. Breslau, Maruschke & Berendt. 1877. S. 157 u. f. 2) Wiener Sitzungsber. Bd. 65. 2. Abth. S. 339. 1872.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/99
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/99>, abgerufen am 21.11.2024.