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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 41] § 25. Generalisirte Coordinaten.
den Molekülen der meisten chemisch einfachen Gase kann man
zeigen, dass sie mindestens aus zwei von einander trennbaren
Theilen bestehen müssen. Wenn z. B. Cl und H sich zu ClH
verbinden, so nimmt das gebildete ClH-Gas bei gleicher Tempe-
ratur und gleichem Drucke genau denselben Raum ein, wie
das aufgewandte Cl- und H-Gas zusammen. Da nach dem
Avogadro'schen Gesetze (I. Theil § 7 S. 52) bei gleicher
Temperatur und gleichem Drucke sich von allen Gasen in der
Volumeneinheit gleich viel Moleküle befinden, so müssen aus
einem Moleküle Cl und einem Moleküle H zwei Moleküle ClH
entstanden sein; es muss also sowohl das Cl- als auch das
H-Molekül sich in zwei Hälften getheilt haben. Die eine Hälfte
des Cl-Moleküles gab mit der einen Hälfte des H-Moleküles zu-
sammen das eine ClH-Molekül; die beiden anderen Hälften der
beiden ursprünglichen Moleküle aber gaben das andere ClH-
Molekül.

Um dieser unzweifelhaften Zusammengesetztheit der Gas-
moleküle Rechnung zu tragen, dachte man sich dieselben zu-
nächst als Aggregate einer gewissen Anzahl materieller Punkte,
welche unter einander selbst wieder durch Centralkräfte zu-
sammengehalten werden. Man erreichte aber mit dieser Vor-
stellung nur wenig Uebereinstimmung mit der Erfahrung, wo-
gegen man für eine Reihe von Gasen wenigstens in thermischer
Hinsicht gute Uebereinstimmung mit der Erfahrung erhält,
wenn man voraussetzt, dass ihre Moleküle starre Körperchen
sind, deren Gestalt von der Kugelgestalt abweicht. Für Mole-
küle dieser Gase scheint also die Verbindung ihrer Theile eine so
innige zu sein, dass sie sich in thermischer Hinsicht wie starre
Körper verhalten, während bei anderen wieder Schwingungen
der Bestandtheile gegen einander stattzufinden scheinen.

Bei dieser Sachlage wird es am besten sein, unsere Vor-
stellung von der Beschaffenheit der Moleküle so allgemein zu
gestalten, dass alle diese Möglichkeiten als specielle Fälle darin
enthalten sind. Wir werden so jedenfalls ein mechanisches
Bild gewinnen, das für neue Erfahrungen möglichst grosse
Anpassungsfähigkeit besitzt.

Wir wollen daher ein Molekül als ein System betrachten, von
dessen Natur wir weiter nichts wissen, als dass seine Zustands-
änderungen durch die allgemeinen mechanischen Gleichungen

[Gleich. 41] § 25. Generalisirte Coordinaten.
den Molekülen der meisten chemisch einfachen Gase kann man
zeigen, dass sie mindestens aus zwei von einander trennbaren
Theilen bestehen müssen. Wenn z. B. Cl und H sich zu ClH
verbinden, so nimmt das gebildete ClH-Gas bei gleicher Tempe-
ratur und gleichem Drucke genau denselben Raum ein, wie
das aufgewandte Cl- und H-Gas zusammen. Da nach dem
Avogadro’schen Gesetze (I. Theil § 7 S. 52) bei gleicher
Temperatur und gleichem Drucke sich von allen Gasen in der
Volumeneinheit gleich viel Moleküle befinden, so müssen aus
einem Moleküle Cl und einem Moleküle H zwei Moleküle ClH
entstanden sein; es muss also sowohl das Cl- als auch das
H-Molekül sich in zwei Hälften getheilt haben. Die eine Hälfte
des Cl-Moleküles gab mit der einen Hälfte des H-Moleküles zu-
sammen das eine ClH-Molekül; die beiden anderen Hälften der
beiden ursprünglichen Moleküle aber gaben das andere ClH-
Molekül.

Um dieser unzweifelhaften Zusammengesetztheit der Gas-
moleküle Rechnung zu tragen, dachte man sich dieselben zu-
nächst als Aggregate einer gewissen Anzahl materieller Punkte,
welche unter einander selbst wieder durch Centralkräfte zu-
sammengehalten werden. Man erreichte aber mit dieser Vor-
stellung nur wenig Uebereinstimmung mit der Erfahrung, wo-
gegen man für eine Reihe von Gasen wenigstens in thermischer
Hinsicht gute Uebereinstimmung mit der Erfahrung erhält,
wenn man voraussetzt, dass ihre Moleküle starre Körperchen
sind, deren Gestalt von der Kugelgestalt abweicht. Für Mole-
küle dieser Gase scheint also die Verbindung ihrer Theile eine so
innige zu sein, dass sie sich in thermischer Hinsicht wie starre
Körper verhalten, während bei anderen wieder Schwingungen
der Bestandtheile gegen einander stattzufinden scheinen.

Bei dieser Sachlage wird es am besten sein, unsere Vor-
stellung von der Beschaffenheit der Moleküle so allgemein zu
gestalten, dass alle diese Möglichkeiten als specielle Fälle darin
enthalten sind. Wir werden so jedenfalls ein mechanisches
Bild gewinnen, das für neue Erfahrungen möglichst grosse
Anpassungsfähigkeit besitzt.

Wir wollen daher ein Molekül als ein System betrachten, von
dessen Natur wir weiter nichts wissen, als dass seine Zustands-
änderungen durch die allgemeinen mechanischen Gleichungen

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[63/0081] [Gleich. 41] § 25. Generalisirte Coordinaten. den Molekülen der meisten chemisch einfachen Gase kann man zeigen, dass sie mindestens aus zwei von einander trennbaren Theilen bestehen müssen. Wenn z. B. Cl und H sich zu ClH verbinden, so nimmt das gebildete ClH-Gas bei gleicher Tempe- ratur und gleichem Drucke genau denselben Raum ein, wie das aufgewandte Cl- und H-Gas zusammen. Da nach dem Avogadro’schen Gesetze (I. Theil § 7 S. 52) bei gleicher Temperatur und gleichem Drucke sich von allen Gasen in der Volumeneinheit gleich viel Moleküle befinden, so müssen aus einem Moleküle Cl und einem Moleküle H zwei Moleküle ClH entstanden sein; es muss also sowohl das Cl- als auch das H-Molekül sich in zwei Hälften getheilt haben. Die eine Hälfte des Cl-Moleküles gab mit der einen Hälfte des H-Moleküles zu- sammen das eine ClH-Molekül; die beiden anderen Hälften der beiden ursprünglichen Moleküle aber gaben das andere ClH- Molekül. Um dieser unzweifelhaften Zusammengesetztheit der Gas- moleküle Rechnung zu tragen, dachte man sich dieselben zu- nächst als Aggregate einer gewissen Anzahl materieller Punkte, welche unter einander selbst wieder durch Centralkräfte zu- sammengehalten werden. Man erreichte aber mit dieser Vor- stellung nur wenig Uebereinstimmung mit der Erfahrung, wo- gegen man für eine Reihe von Gasen wenigstens in thermischer Hinsicht gute Uebereinstimmung mit der Erfahrung erhält, wenn man voraussetzt, dass ihre Moleküle starre Körperchen sind, deren Gestalt von der Kugelgestalt abweicht. Für Mole- küle dieser Gase scheint also die Verbindung ihrer Theile eine so innige zu sein, dass sie sich in thermischer Hinsicht wie starre Körper verhalten, während bei anderen wieder Schwingungen der Bestandtheile gegen einander stattzufinden scheinen. Bei dieser Sachlage wird es am besten sein, unsere Vor- stellung von der Beschaffenheit der Moleküle so allgemein zu gestalten, dass alle diese Möglichkeiten als specielle Fälle darin enthalten sind. Wir werden so jedenfalls ein mechanisches Bild gewinnen, das für neue Erfahrungen möglichst grosse Anpassungsfähigkeit besitzt. Wir wollen daher ein Molekül als ein System betrachten, von dessen Natur wir weiter nichts wissen, als dass seine Zustands- änderungen durch die allgemeinen mechanischen Gleichungen

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/81>, abgerufen am 30.11.2024.