Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_117.001 § 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang. pbo_117.002 pbo_117.001 § 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang. pbo_117.002 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0121" n="117"/> <lb n="pbo_117.001"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang.</hi> </head> <p><lb n="pbo_117.002"/> Jst also der unglückliche Ausgang im Drama etwas seinem <lb n="pbo_117.003"/> eigentümlichen Ernste durchaus Gemäßes, ja von ihm Gefordertes, <lb n="pbo_117.004"/> so darf man ihn doch nicht zum charakteristischen <lb n="pbo_117.005"/> Merkmal des ernsten Dramas machen, im Gegensatz zu seinem <lb n="pbo_117.006"/> heiteren Pendant, der <hi rendition="#g">Komödie.</hi> Dies geschieht und geschah <lb n="pbo_117.007"/> vielfach. Jm Mittelalter konnte Dante sein heiligen <lb n="pbo_117.008"/> Ernstes volles Gedicht göttliche <hi rendition="#g">Komödie</hi> nennen wegen <lb n="pbo_117.009"/> des glücklichen Ausgangs (im letzten Teil, dem Paradiso). Das <lb n="pbo_117.010"/> Ankämpfen der edlen Natur des Helden gegen die Härte seines <lb n="pbo_117.011"/> Geschicks, das freudige, standhafte Ertragen der Schlechtigkeit <lb n="pbo_117.012"/> und Gemeinheit der Welt kann sittliche Mächte zu seiner <lb n="pbo_117.013"/> Rettung oder Entschädigung heraufbeschwören, die seine tragische <lb n="pbo_117.014"/> Schuld vor unseren Augen in ein überweltliches Verdienst <lb n="pbo_117.015"/> verwandeln. Die Alten gaben Dem Ausdruck dadurch, daß <lb n="pbo_117.016"/> sie die Person gewordene sittliche Macht, eine Gottheit, am <lb n="pbo_117.017"/> Schlusse in den Gang der Tragödie eingreifen, die unlöslichen <lb n="pbo_117.018"/> Fäden des Geschicks entwirren, den lastenden Fluch tilgen <lb n="pbo_117.019"/> ließen (Deus ex machina wegen der szenischen Einführung <lb n="pbo_117.020"/> des Gottes auf einer vom Himmel herabschwebenden Maschinerie). <lb n="pbo_117.021"/> Jm Christentum hat der unsichtbare Gott seine sichtbar gewordenen <lb n="pbo_117.022"/> Boten, Engel und Heilige, zur Verfügung. Die <lb n="pbo_117.023"/> Genien und gütigen Feen der Märchenwelt hat es gleichfalls <lb n="pbo_117.024"/> nicht ihres poetischen Amtes zu entsetzen vermocht. Jn beiden <lb n="pbo_117.025"/> Fällen wird gerade hier die Beihilfe der Musik mit ihrer das <lb n="pbo_117.026"/> Wunderbare realisierenden Macht dem Drama erwünscht sein. <lb n="pbo_117.027"/> Die Oper ist heute der rechte Boden für solche Vermittler <lb n="pbo_117.028"/> eines glücklichen dramatischen Ausgangs (die dei ex machina <lb n="pbo_117.029"/> der Gluckschen Opern, der fromme Einsiedler am Schlusse <lb n="pbo_117.030"/> des „Freischütz“, Carastro in der „Zauberflöte“). Am reinsten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0121]
pbo_117.001
§ 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang. pbo_117.002
Jst also der unglückliche Ausgang im Drama etwas seinem pbo_117.003
eigentümlichen Ernste durchaus Gemäßes, ja von ihm Gefordertes, pbo_117.004
so darf man ihn doch nicht zum charakteristischen pbo_117.005
Merkmal des ernsten Dramas machen, im Gegensatz zu seinem pbo_117.006
heiteren Pendant, der Komödie. Dies geschieht und geschah pbo_117.007
vielfach. Jm Mittelalter konnte Dante sein heiligen pbo_117.008
Ernstes volles Gedicht göttliche Komödie nennen wegen pbo_117.009
des glücklichen Ausgangs (im letzten Teil, dem Paradiso). Das pbo_117.010
Ankämpfen der edlen Natur des Helden gegen die Härte seines pbo_117.011
Geschicks, das freudige, standhafte Ertragen der Schlechtigkeit pbo_117.012
und Gemeinheit der Welt kann sittliche Mächte zu seiner pbo_117.013
Rettung oder Entschädigung heraufbeschwören, die seine tragische pbo_117.014
Schuld vor unseren Augen in ein überweltliches Verdienst pbo_117.015
verwandeln. Die Alten gaben Dem Ausdruck dadurch, daß pbo_117.016
sie die Person gewordene sittliche Macht, eine Gottheit, am pbo_117.017
Schlusse in den Gang der Tragödie eingreifen, die unlöslichen pbo_117.018
Fäden des Geschicks entwirren, den lastenden Fluch tilgen pbo_117.019
ließen (Deus ex machina wegen der szenischen Einführung pbo_117.020
des Gottes auf einer vom Himmel herabschwebenden Maschinerie). pbo_117.021
Jm Christentum hat der unsichtbare Gott seine sichtbar gewordenen pbo_117.022
Boten, Engel und Heilige, zur Verfügung. Die pbo_117.023
Genien und gütigen Feen der Märchenwelt hat es gleichfalls pbo_117.024
nicht ihres poetischen Amtes zu entsetzen vermocht. Jn beiden pbo_117.025
Fällen wird gerade hier die Beihilfe der Musik mit ihrer das pbo_117.026
Wunderbare realisierenden Macht dem Drama erwünscht sein. pbo_117.027
Die Oper ist heute der rechte Boden für solche Vermittler pbo_117.028
eines glücklichen dramatischen Ausgangs (die dei ex machina pbo_117.029
der Gluckschen Opern, der fromme Einsiedler am Schlusse pbo_117.030
des „Freischütz“, Carastro in der „Zauberflöte“). Am reinsten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst). Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja; Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |