Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_024.001 § 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten. pbo_024.016 pbo_024.029 pbo_024.001 § 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten. pbo_024.016 pbo_024.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0028" n="24"/><lb n="pbo_024.001"/> sechsfüßiger Jambus, Hexameter in Drama und Epos), die <lb n="pbo_024.002"/> alles umspannt. Die Dichter mußten von Natur auf dies <lb n="pbo_024.003"/> Stilmittel verfallen, das so sinnfällig ihr souveränes künstlerisches <lb n="pbo_024.004"/> Verhältnis zu ihrem besonderen Stoff ins Licht setzt. <lb n="pbo_024.005"/> Jn <hi rendition="#g">Lied</hi> und <hi rendition="#g">Oper,</hi> wo zu der gebundenen Rede nun auch <lb n="pbo_024.006"/> gar noch die gänzlich der Wirklichkeit entrückte <hi rendition="#g">Musik</hi> hinzutritt, <lb n="pbo_024.007"/> erreicht die künstlerische Selbstherrlichkeit des poetischen <lb n="pbo_024.008"/> Stils ihren schärfsten Ausdruck. Gerade dies aber ist der <lb n="pbo_024.009"/> älteste Stil. Dichter und Sänger ist nach dem ältesten Begriff <lb n="pbo_024.010"/> eins. Die alten Epen (und noch in neuester Zeit <lb n="pbo_024.011"/> epische Volkslieder etwa der Serben) wurden liedmäßig mit <lb n="pbo_024.012"/> Begleitung des Jnstruments (der griechischen Lyra, bei den <lb n="pbo_024.013"/> Serben der Gusla) vorgetragen. Das griechische Drama war <lb n="pbo_024.014"/> nach unserem Begriff, freilich nicht in unserem Sinne, Oper.</p> <lb n="pbo_024.015"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten.</hi> </head> <p><lb n="pbo_024.016"/> Man muß also beachten, daß, wenn der Dichter die <lb n="pbo_024.017"/> Charaktere seiner Personen unterscheidet, den Alten alt, den <lb n="pbo_024.018"/> Jüngling feurig, das Weib als Weib, den Helden hoch, den <lb n="pbo_024.019"/> gemeinen Mann niedrig und jeden wiederum nach seiner besonderen <lb n="pbo_024.020"/> ganz individuellen Art reden läßt: daß es darum <lb n="pbo_024.021"/> doch wieder er selbst ist, der alle diese Figuren zu einem ganz <lb n="pbo_024.022"/> bestimmten Ziele, nach einem ihm vorschwebenden Plane reden <lb n="pbo_024.023"/> läßt. Jm großen Dichter vollzieht sich dabei die völlige Umschaffung <lb n="pbo_024.024"/> der zufälligen im Leben stehenden Personen gleichsam <lb n="pbo_024.025"/> zu ihren <hi rendition="#g">Persönlichkeiten</hi> im Sinne einer höheren <lb n="pbo_024.026"/> sittlichen Weltordnung. Aus dem <hi rendition="#g">empirischen</hi> wird nach <lb n="pbo_024.027"/> der philosophischen Ausdrucksweise Kants der <hi rendition="#g">intelligible</hi> <lb n="pbo_024.028"/> Charakter offenbar.</p> <p><lb n="pbo_024.029"/> Es ist das Höchste, was die Dichtung erreichen kann. <lb n="pbo_024.030"/> Der ohne Vergleich größte Charakterisierer unter allen Dichtern </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0028]
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sechsfüßiger Jambus, Hexameter in Drama und Epos), die pbo_024.002
alles umspannt. Die Dichter mußten von Natur auf dies pbo_024.003
Stilmittel verfallen, das so sinnfällig ihr souveränes künstlerisches pbo_024.004
Verhältnis zu ihrem besonderen Stoff ins Licht setzt. pbo_024.005
Jn Lied und Oper, wo zu der gebundenen Rede nun auch pbo_024.006
gar noch die gänzlich der Wirklichkeit entrückte Musik hinzutritt, pbo_024.007
erreicht die künstlerische Selbstherrlichkeit des poetischen pbo_024.008
Stils ihren schärfsten Ausdruck. Gerade dies aber ist der pbo_024.009
älteste Stil. Dichter und Sänger ist nach dem ältesten Begriff pbo_024.010
eins. Die alten Epen (und noch in neuester Zeit pbo_024.011
epische Volkslieder etwa der Serben) wurden liedmäßig mit pbo_024.012
Begleitung des Jnstruments (der griechischen Lyra, bei den pbo_024.013
Serben der Gusla) vorgetragen. Das griechische Drama war pbo_024.014
nach unserem Begriff, freilich nicht in unserem Sinne, Oper.
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§ 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten. pbo_024.016
Man muß also beachten, daß, wenn der Dichter die pbo_024.017
Charaktere seiner Personen unterscheidet, den Alten alt, den pbo_024.018
Jüngling feurig, das Weib als Weib, den Helden hoch, den pbo_024.019
gemeinen Mann niedrig und jeden wiederum nach seiner besonderen pbo_024.020
ganz individuellen Art reden läßt: daß es darum pbo_024.021
doch wieder er selbst ist, der alle diese Figuren zu einem ganz pbo_024.022
bestimmten Ziele, nach einem ihm vorschwebenden Plane reden pbo_024.023
läßt. Jm großen Dichter vollzieht sich dabei die völlige Umschaffung pbo_024.024
der zufälligen im Leben stehenden Personen gleichsam pbo_024.025
zu ihren Persönlichkeiten im Sinne einer höheren pbo_024.026
sittlichen Weltordnung. Aus dem empirischen wird nach pbo_024.027
der philosophischen Ausdrucksweise Kants der intelligible pbo_024.028
Charakter offenbar.
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Es ist das Höchste, was die Dichtung erreichen kann. pbo_024.030
Der ohne Vergleich größte Charakterisierer unter allen Dichtern
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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