Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_035.001 pbo_035.026 pbo_035.001 pbo_035.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0039" n="35"/><lb n="pbo_035.001"/> oder Verwandtes in der Vorstellung zurückzuführen: es fällt <lb n="pbo_035.002"/> ihm, wie man sagt, etwas dabei ein. Jn der mythologischen <lb n="pbo_035.003"/> Anspielung nun giebt der Dichter der Phantasie eine Erklärung <lb n="pbo_035.004"/> für die Wahrnehmung. Es donnert. Der Gott in den <lb n="pbo_035.005"/> Wolken schüttelt sein erhabenes Haupt. Die Sonne geht auf. <lb n="pbo_035.006"/> Eine göttliche Jungfrau mit rosig strahlenden Fingern öffnet <lb n="pbo_035.007"/> ihr das Himmelsthor, hinter dem sie verborgen lag. Jn der <lb n="pbo_035.008"/> poetischen <hi rendition="#g">Vergleichung</hi> begnügt sich der Dichter, die Eigenart <lb n="pbo_035.009"/> der Erscheinung, des Vorgangs in ein möglichst helles <lb n="pbo_035.010"/> Licht zu setzen. Die lebhafte Phantasie geht gleichsam mit <lb n="pbo_035.011"/> ihm durch. Homerische Vergleichungen scheinen oft, unbekümmert <lb n="pbo_035.012"/> um die Erzählung, in die sie eingeflochten werden, <lb n="pbo_035.013"/> ihre eigenen Wege zu gehen, nur bemüht, ihren Vergleichungspunkt <lb n="pbo_035.014"/> (tertium comparationis) ganz zu erschöpfen. Der <lb n="pbo_035.015"/> Dichter spinnt sein Gleichnis aus. Menelaos gewahrt im <lb n="pbo_035.016"/> dritten Gesange der Jlias seinen Todfeind Paris. So sieht <lb n="pbo_035.017"/> ein Löwe, ruft der Dichter, seine Beute, einen Hirsch oder <lb n="pbo_035.018"/> einen Gemsbock voll Freude. Er stürzt sich auf ihn und verschlingt <lb n="pbo_035.019"/> ihn begierig, mögen auch Hunde und Jäger ihn zu <lb n="pbo_035.020"/> verscheuchen suchen. Hier führt den Dichter die freudige <lb n="pbo_035.021"/> Begier in seinem Helden, der sich in Gedanken schon auf den <lb n="pbo_035.022"/> Feind stürzt, sich in ihn gleichsam verbeißt, auf dies ausgeführte <lb n="pbo_035.023"/> Bild vom hungrigen Löwen und der Jagd. (Ein schönes <lb n="pbo_035.024"/> Beispiel auffallend lang abschweifenden Gleichnisses ist das <lb n="pbo_035.025"/> von der weinenden Kriegsgefangenen, Odyssee VIII 523 ff.)</p> <p><lb n="pbo_035.026"/> Es ist der höchste Zweck des Gleichnisses, ein Unsinnliches <lb n="pbo_035.027"/> zur lebendigen Anschauung zu bringen. Jn dieser Hinsicht <lb n="pbo_035.028"/> haben wir ja auch ein evangelisches Wort vom Wert und <lb n="pbo_035.029"/> Bedeutung der Gleichnisreden. Das Evangelium enthält <lb n="pbo_035.030"/> höchst ausgeführte Gleichnisse, die selbst wieder ausgestaltet <lb n="pbo_035.031"/> worden sind und das Motiv selbständiger Dichtungen durch </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0039]
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oder Verwandtes in der Vorstellung zurückzuführen: es fällt pbo_035.002
ihm, wie man sagt, etwas dabei ein. Jn der mythologischen pbo_035.003
Anspielung nun giebt der Dichter der Phantasie eine Erklärung pbo_035.004
für die Wahrnehmung. Es donnert. Der Gott in den pbo_035.005
Wolken schüttelt sein erhabenes Haupt. Die Sonne geht auf. pbo_035.006
Eine göttliche Jungfrau mit rosig strahlenden Fingern öffnet pbo_035.007
ihr das Himmelsthor, hinter dem sie verborgen lag. Jn der pbo_035.008
poetischen Vergleichung begnügt sich der Dichter, die Eigenart pbo_035.009
der Erscheinung, des Vorgangs in ein möglichst helles pbo_035.010
Licht zu setzen. Die lebhafte Phantasie geht gleichsam mit pbo_035.011
ihm durch. Homerische Vergleichungen scheinen oft, unbekümmert pbo_035.012
um die Erzählung, in die sie eingeflochten werden, pbo_035.013
ihre eigenen Wege zu gehen, nur bemüht, ihren Vergleichungspunkt pbo_035.014
(tertium comparationis) ganz zu erschöpfen. Der pbo_035.015
Dichter spinnt sein Gleichnis aus. Menelaos gewahrt im pbo_035.016
dritten Gesange der Jlias seinen Todfeind Paris. So sieht pbo_035.017
ein Löwe, ruft der Dichter, seine Beute, einen Hirsch oder pbo_035.018
einen Gemsbock voll Freude. Er stürzt sich auf ihn und verschlingt pbo_035.019
ihn begierig, mögen auch Hunde und Jäger ihn zu pbo_035.020
verscheuchen suchen. Hier führt den Dichter die freudige pbo_035.021
Begier in seinem Helden, der sich in Gedanken schon auf den pbo_035.022
Feind stürzt, sich in ihn gleichsam verbeißt, auf dies ausgeführte pbo_035.023
Bild vom hungrigen Löwen und der Jagd. (Ein schönes pbo_035.024
Beispiel auffallend lang abschweifenden Gleichnisses ist das pbo_035.025
von der weinenden Kriegsgefangenen, Odyssee VIII 523 ff.)
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Es ist der höchste Zweck des Gleichnisses, ein Unsinnliches pbo_035.027
zur lebendigen Anschauung zu bringen. Jn dieser Hinsicht pbo_035.028
haben wir ja auch ein evangelisches Wort vom Wert und pbo_035.029
Bedeutung der Gleichnisreden. Das Evangelium enthält pbo_035.030
höchst ausgeführte Gleichnisse, die selbst wieder ausgestaltet pbo_035.031
worden sind und das Motiv selbständiger Dichtungen durch
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