Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_074.001 pbo_074.013 pbo_074.001 pbo_074.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0078" n="74"/><lb n="pbo_074.001"/> hauptsächlichen Zielpunkt in dem vornehmsten aller antiken <lb n="pbo_074.002"/> metrischen Schemata, dem Verse Homers, dem <hi rendition="#g">Hexameter.</hi> <lb n="pbo_074.003"/> Dies wundervolle Maß, welches der Genius der Metrik selbst <lb n="pbo_074.004"/> eingegeben zu haben scheint, in möglichst reiner Gestalt auch <lb n="pbo_074.005"/> der modernen Dichtung zu gewinnen, ist seit dem Beginn <lb n="pbo_074.006"/> einer tieferen Beschäftigung mit den Alten das Ziel der Poesiefreunde <lb n="pbo_074.007"/> aller Länder gewesen. Nur die Deutschen haben es <lb n="pbo_074.008"/> erreicht, im Vorzug vor den Romanen, da ihre Sprache in <lb n="pbo_074.009"/> ihrer strengen Rhythmik wenigstens die für den Vers unerläßlichen <lb n="pbo_074.010"/> festen taktischen Stützpunkte bot. Vorher mußten <lb n="pbo_074.011"/> freilich auch hier die schon erörterten metrischen Jrrtümer in <lb n="pbo_074.012"/> Bezug auf die Silbenmessung überwunden werden.</p> <p><lb n="pbo_074.013"/> Der Hexameter bedarf der festen Stützpunkte vor jedem <lb n="pbo_074.014"/> andern Versmaß wegen seiner wechselnden Bewegung bei <lb n="pbo_074.015"/> völliger Einheit seines Grundtaktes. Diese seine wesentliche <lb n="pbo_074.016"/> Schönheit würde eben bei jedem Verwischen seines Schemas <lb n="pbo_074.017"/> verloren gehen. Der Hexameter ist, wie schon sein Name <lb n="pbo_074.018"/> besagt, aus <hi rendition="#g">sechs</hi> und zwar daktylischen <hi rendition="#g">Metren</hi> zusammengesetzt. <lb n="pbo_074.019"/> Er stellt nach unseren obigen Ausführungen das <lb n="pbo_074.020"/> klassische Compromiß der einfachsten ungleichen Taktreihe (3×2) <lb n="pbo_074.021"/> in der gleichen Taktart dar. Einfach in der Mannigfaltigkeit, so <lb n="pbo_074.022"/> ruft er ähnliche Ordnungen der griechischen Archtitektur vor <lb n="pbo_074.023"/> die Anschauung. Die grade Taktart weist auf sein direktes Erblühen <lb n="pbo_074.024"/> aus ursprünglichster Rhythmik; die Freiheit, den Gleichtakt <lb n="pbo_074.025"/> ganz, als Spondeus (d. i. Weihe-Opfervers von <foreign xml:lang="grc">σπονδή</foreign>, <lb n="pbo_074.026"/> <foreign xml:lang="grc">σπένδω</foreign>), <figure type="notatedMusic"/> oder aufgelöst, als Daktylus <figure type="notatedMusic"/> <lb n="pbo_074.027"/> zu gebrauchen, auf den schon erfolgten Durchbruch aus der <lb n="pbo_074.028"/> archaischen Gebundenheit strenger Urform zu blühendem Leben. <lb n="pbo_074.029"/> Das daktylische Maß, der Moment des Schwunges, soll nie <lb n="pbo_074.030"/> ganz im Verse zurücktreten. Daher bleibt ihm der vorletzte Takt, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0078]
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hauptsächlichen Zielpunkt in dem vornehmsten aller antiken pbo_074.002
metrischen Schemata, dem Verse Homers, dem Hexameter. pbo_074.003
Dies wundervolle Maß, welches der Genius der Metrik selbst pbo_074.004
eingegeben zu haben scheint, in möglichst reiner Gestalt auch pbo_074.005
der modernen Dichtung zu gewinnen, ist seit dem Beginn pbo_074.006
einer tieferen Beschäftigung mit den Alten das Ziel der Poesiefreunde pbo_074.007
aller Länder gewesen. Nur die Deutschen haben es pbo_074.008
erreicht, im Vorzug vor den Romanen, da ihre Sprache in pbo_074.009
ihrer strengen Rhythmik wenigstens die für den Vers unerläßlichen pbo_074.010
festen taktischen Stützpunkte bot. Vorher mußten pbo_074.011
freilich auch hier die schon erörterten metrischen Jrrtümer in pbo_074.012
Bezug auf die Silbenmessung überwunden werden.
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Der Hexameter bedarf der festen Stützpunkte vor jedem pbo_074.014
andern Versmaß wegen seiner wechselnden Bewegung bei pbo_074.015
völliger Einheit seines Grundtaktes. Diese seine wesentliche pbo_074.016
Schönheit würde eben bei jedem Verwischen seines Schemas pbo_074.017
verloren gehen. Der Hexameter ist, wie schon sein Name pbo_074.018
besagt, aus sechs und zwar daktylischen Metren zusammengesetzt. pbo_074.019
Er stellt nach unseren obigen Ausführungen das pbo_074.020
klassische Compromiß der einfachsten ungleichen Taktreihe (3×2) pbo_074.021
in der gleichen Taktart dar. Einfach in der Mannigfaltigkeit, so pbo_074.022
ruft er ähnliche Ordnungen der griechischen Archtitektur vor pbo_074.023
die Anschauung. Die grade Taktart weist auf sein direktes Erblühen pbo_074.024
aus ursprünglichster Rhythmik; die Freiheit, den Gleichtakt pbo_074.025
ganz, als Spondeus (d. i. Weihe-Opfervers von σπονδή, pbo_074.026
σπένδω),
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oder aufgelöst, als Daktylus
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zu gebrauchen, auf den schon erfolgten Durchbruch aus der pbo_074.028
archaischen Gebundenheit strenger Urform zu blühendem Leben. pbo_074.029
Das daktylische Maß, der Moment des Schwunges, soll nie pbo_074.030
ganz im Verse zurücktreten. Daher bleibt ihm der vorletzte Takt,
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