pbo_087.001 noch die rein metrischen Verhältnisse für sich in Anspruch pbo_087.002 nehmen. Verse von ganz unterschiedener, fein abgetönter pbo_087.003 metrischer Bildung wechseln miteinander ab, von denen oft pbo_087.004 keiner dem andern gleicht, und die gleichwohl nach einem langen pbo_087.005 Umschwung in der zweiten ganz gleich gebauten Strophe pbo_087.006 (Antistrophe) auf das peinlichste genau wiederkehren. Derart pbo_087.007 waren die chorischen Strophen im antiken Drama, die pbo_087.008 ganz auf musikalische Komposition gestellt waren. Aber auch pbo_087.009 außerhalb des Rahmens der Bühne wurden sie bei feierlichen pbo_087.010 Choraufführungen angewendet, so von dem kunstreichsten und pbo_087.011 kühnsten Strophenkomponisten der Alten, Pindar. Die pbo_087.012 metrische Kunst ging soweit, daß sie auch bei dieser künstlichen pbo_087.013 Chorstrophe sich nicht beruhigte, sondern nach ihrer Wiederholung pbo_087.014 in der Antistrophe ihr in einem neuen strophischen pbo_087.015 Gebilde, dem Epodos, erst den Abschluß gab. Diese ganze pbo_087.016 kunstvolle Dreiheit von Strophe, Antistrophe und Epodos pbo_087.017 wird nun festgehalten und schlingt sich durch einen ganzen pbo_087.018 Pindarischen Siegesgesang. Die metrische Feinhörigkeit, die pbo_087.019 hier bei Sängern und Publikum vorausgesetzt werden muß, pbo_087.020 ist unserem, nach ganz anderen Richtungen (der Harmonie) ausgebildeten pbo_087.021 Ohre gar nicht mehr verständlich. Doch ein Abglanz pbo_087.022 davon belebte noch die poetische Blütezeit des Mittelalters, pbo_087.023 in der freilich schon der weit gröbere Reim den Hauptanteil pbo_087.024 des strophischen Wechsels übernimmt. Jm Minne-pbo_087.025 und dem davon abhängigen Meistersang treffen wir den pbo_087.026 alten dreiteiligen Wechsel von Strophen und Epodos gleichsam pbo_087.027 verjüngt in der Anlage der Strophe selbst, in Stollen und pbo_087.028 Abgesang.
pbo_087.029
§ 57. Gebräuchliche antike Strophen.
pbo_087.030 Diese höchste Blüte des kunstvollen Strophenbaues blieb pbo_087.031 aber auch im Alterthum nur den genannten höheren poetischen
pbo_087.001 noch die rein metrischen Verhältnisse für sich in Anspruch pbo_087.002 nehmen. Verse von ganz unterschiedener, fein abgetönter pbo_087.003 metrischer Bildung wechseln miteinander ab, von denen oft pbo_087.004 keiner dem andern gleicht, und die gleichwohl nach einem langen pbo_087.005 Umschwung in der zweiten ganz gleich gebauten Strophe pbo_087.006 (Antistrophe) auf das peinlichste genau wiederkehren. Derart pbo_087.007 waren die chorischen Strophen im antiken Drama, die pbo_087.008 ganz auf musikalische Komposition gestellt waren. Aber auch pbo_087.009 außerhalb des Rahmens der Bühne wurden sie bei feierlichen pbo_087.010 Choraufführungen angewendet, so von dem kunstreichsten und pbo_087.011 kühnsten Strophenkomponisten der Alten, Pindar. Die pbo_087.012 metrische Kunst ging soweit, daß sie auch bei dieser künstlichen pbo_087.013 Chorstrophe sich nicht beruhigte, sondern nach ihrer Wiederholung pbo_087.014 in der Antistrophe ihr in einem neuen strophischen pbo_087.015 Gebilde, dem Epodos, erst den Abschluß gab. Diese ganze pbo_087.016 kunstvolle Dreiheit von Strophe, Antistrophe und Epodos pbo_087.017 wird nun festgehalten und schlingt sich durch einen ganzen pbo_087.018 Pindarischen Siegesgesang. Die metrische Feinhörigkeit, die pbo_087.019 hier bei Sängern und Publikum vorausgesetzt werden muß, pbo_087.020 ist unserem, nach ganz anderen Richtungen (der Harmonie) ausgebildeten pbo_087.021 Ohre gar nicht mehr verständlich. Doch ein Abglanz pbo_087.022 davon belebte noch die poetische Blütezeit des Mittelalters, pbo_087.023 in der freilich schon der weit gröbere Reim den Hauptanteil pbo_087.024 des strophischen Wechsels übernimmt. Jm Minne-pbo_087.025 und dem davon abhängigen Meistersang treffen wir den pbo_087.026 alten dreiteiligen Wechsel von Strophen und Epodos gleichsam pbo_087.027 verjüngt in der Anlage der Strophe selbst, in Stollen und pbo_087.028 Abgesang.
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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/91>, abgerufen am 31.07.2024.
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