pbo_094.001 aller Völker, auch solche, die sonst poetischer Gestaltung oder pbo_094.002 lyrischem Erguß ferner standen (Michel Angelo Buonarroti, pbo_094.003 Wilhelm von Humboldt, Shakespeare) ihr tiefstes Fühlen und pbo_094.004 innerstes Denken anvertrauten. Freilich hat das Sonett ebenso pbo_094.005 auch die Verflachung der Mode oft genug erfahren müssen, namentlich pbo_094.006 in dem modesüchtigen 17. Jahrh. Der Klingklang seiner pbo_094.007 Reimbindung blieb dann allein übrig, um ein Kompliment pbo_094.008 abzuzirkeln, ein Witzchen epigrammatisch herauszuarbeiten. Mit pbo_094.009 dem freieren Madrigal ward so das "sonnet orgueilleux" pbo_094.010 (Boileau) auch der klassische Vertreter fader, preziöser Salon- pbo_094.011 und Kliquenpoesie. Die Variationen, die in solcher Verwendung pbo_094.012 mit ihm vorgenommen werden können, mag man pbo_094.013 der Litteraturgeschichte entnehmen.
pbo_094.014 Die Abschlußstrophen des Sonetts leiten uns unmittelbar pbo_094.015 auf diejenige Strophenform, die durch Dantes Weltgedicht, pbo_094.016 la divina commedia, schon ihre hervorragende Stellung belegen pbo_094.017 kann: die Terzine. Denkt man sich den Typus der pbo_094.018 fünffüßigen jambischen Dreizeile, wie er in den zwei Terzetten pbo_094.019 des Sonetts auftritt, durch Reimverschränkung immer weiter pbo_094.020 fortgesetzt, so erhält man das Bild einer Strophe, die durch pbo_094.021 zwei Reime eingerahmt mit dem Mittelreim über sich hinausstrebt pbo_094.022 und so förmlich immer neuen Atem schöpft: in ihrem pbo_094.023 energischen Vorwärtszuge bei großer Gehaltenheit des Rhythmus pbo_094.024 so das vorbestimmte Maß für die beschwingte, poetische pbo_094.025 Durchführung eines ernsten und kühnen Gedankeninhalts. pbo_094.026 Den endlichen Abschluß muß dann natürlich eine einzelne pbo_094.027 Reimzeile abgeben, da mit der zweiten Strophe schon wieder pbo_094.028 eine neue Reimung anhebt. Dies ist also das Schema:
pbo_094.029
a b a b c b c d c d e d e....
pbo_094.030 Die Terzine, durch das große Einleitungsgedicht der gesamten pbo_094.031 neueren Litteratur in Jtalien früh (13. Jh.) auf
pbo_094.001 aller Völker, auch solche, die sonst poetischer Gestaltung oder pbo_094.002 lyrischem Erguß ferner standen (Michel Angelo Buonarroti, pbo_094.003 Wilhelm von Humboldt, Shakespeare) ihr tiefstes Fühlen und pbo_094.004 innerstes Denken anvertrauten. Freilich hat das Sonett ebenso pbo_094.005 auch die Verflachung der Mode oft genug erfahren müssen, namentlich pbo_094.006 in dem modesüchtigen 17. Jahrh. Der Klingklang seiner pbo_094.007 Reimbindung blieb dann allein übrig, um ein Kompliment pbo_094.008 abzuzirkeln, ein Witzchen epigrammatisch herauszuarbeiten. Mit pbo_094.009 dem freieren Madrigal ward so das „sonnet orgueilleux“ pbo_094.010 (Boileau) auch der klassische Vertreter fader, preziöser Salon- pbo_094.011 und Kliquenpoesie. Die Variationen, die in solcher Verwendung pbo_094.012 mit ihm vorgenommen werden können, mag man pbo_094.013 der Litteraturgeschichte entnehmen.
pbo_094.014 Die Abschlußstrophen des Sonetts leiten uns unmittelbar pbo_094.015 auf diejenige Strophenform, die durch Dantes Weltgedicht, pbo_094.016 la divina commedia, schon ihre hervorragende Stellung belegen pbo_094.017 kann: die Terzine. Denkt man sich den Typus der pbo_094.018 fünffüßigen jambischen Dreizeile, wie er in den zwei Terzetten pbo_094.019 des Sonetts auftritt, durch Reimverschränkung immer weiter pbo_094.020 fortgesetzt, so erhält man das Bild einer Strophe, die durch pbo_094.021 zwei Reime eingerahmt mit dem Mittelreim über sich hinausstrebt pbo_094.022 und so förmlich immer neuen Atem schöpft: in ihrem pbo_094.023 energischen Vorwärtszuge bei großer Gehaltenheit des Rhythmus pbo_094.024 so das vorbestimmte Maß für die beschwingte, poetische pbo_094.025 Durchführung eines ernsten und kühnen Gedankeninhalts. pbo_094.026 Den endlichen Abschluß muß dann natürlich eine einzelne pbo_094.027 Reimzeile abgeben, da mit der zweiten Strophe schon wieder pbo_094.028 eine neue Reimung anhebt. Dies ist also das Schema:
pbo_094.029
a b a b c b c d c d e d e....
pbo_094.030 Die Terzine, durch das große Einleitungsgedicht der gesamten pbo_094.031 neueren Litteratur in Jtalien früh (13. Jh.) auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0098"n="94"/><lbn="pbo_094.001"/>
aller Völker, auch solche, die sonst poetischer Gestaltung oder <lbn="pbo_094.002"/>
lyrischem Erguß ferner standen (Michel Angelo Buonarroti, <lbn="pbo_094.003"/>
Wilhelm von Humboldt, Shakespeare) ihr tiefstes Fühlen und <lbn="pbo_094.004"/>
innerstes Denken anvertrauten. Freilich hat das Sonett ebenso <lbn="pbo_094.005"/>
auch die Verflachung der Mode oft genug erfahren müssen, namentlich <lbn="pbo_094.006"/>
in dem modesüchtigen 17. Jahrh. Der Klingklang seiner <lbn="pbo_094.007"/>
Reimbindung blieb dann allein übrig, um ein Kompliment <lbn="pbo_094.008"/>
abzuzirkeln, ein Witzchen epigrammatisch herauszuarbeiten. Mit <lbn="pbo_094.009"/>
dem freieren <hirendition="#g">Madrigal</hi> ward so das „sonnet orgueilleux“<lbn="pbo_094.010"/>
(Boileau) auch der klassische Vertreter fader, preziöser Salon- <lbn="pbo_094.011"/>
und Kliquenpoesie. Die Variationen, die in solcher Verwendung <lbn="pbo_094.012"/>
mit ihm vorgenommen werden können, mag man <lbn="pbo_094.013"/>
der Litteraturgeschichte entnehmen.</p><p><lbn="pbo_094.014"/>
Die Abschlußstrophen des Sonetts leiten uns unmittelbar <lbn="pbo_094.015"/>
auf diejenige Strophenform, die durch Dantes Weltgedicht, <lbn="pbo_094.016"/>
la divina commedia, schon ihre hervorragende Stellung belegen <lbn="pbo_094.017"/>
kann: <hirendition="#g">die Terzine.</hi> Denkt man sich den Typus der <lbn="pbo_094.018"/>
fünffüßigen jambischen Dreizeile, wie er in den zwei Terzetten <lbn="pbo_094.019"/>
des Sonetts auftritt, durch Reimverschränkung immer weiter <lbn="pbo_094.020"/>
fortgesetzt, so erhält man das Bild einer Strophe, die durch <lbn="pbo_094.021"/>
zwei Reime eingerahmt mit dem Mittelreim über sich hinausstrebt <lbn="pbo_094.022"/>
und so förmlich immer neuen Atem schöpft: in ihrem <lbn="pbo_094.023"/>
energischen Vorwärtszuge bei großer Gehaltenheit des Rhythmus <lbn="pbo_094.024"/>
so das vorbestimmte Maß für die beschwingte, poetische <lbn="pbo_094.025"/>
Durchführung eines ernsten und kühnen Gedankeninhalts. <lbn="pbo_094.026"/>
Den endlichen Abschluß muß dann natürlich eine einzelne <lbn="pbo_094.027"/>
Reimzeile abgeben, da mit der zweiten Strophe schon wieder <lbn="pbo_094.028"/>
eine neue Reimung anhebt. Dies ist also das Schema:</p><lbn="pbo_094.029"/><p>a b a b c b c d c d e d e.... </p><p><lbn="pbo_094.030"/>
Die Terzine, durch das große Einleitungsgedicht der gesamten <lbn="pbo_094.031"/>
neueren Litteratur in Jtalien früh (13. Jh.) auf
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0098]
pbo_094.001
aller Völker, auch solche, die sonst poetischer Gestaltung oder pbo_094.002
lyrischem Erguß ferner standen (Michel Angelo Buonarroti, pbo_094.003
Wilhelm von Humboldt, Shakespeare) ihr tiefstes Fühlen und pbo_094.004
innerstes Denken anvertrauten. Freilich hat das Sonett ebenso pbo_094.005
auch die Verflachung der Mode oft genug erfahren müssen, namentlich pbo_094.006
in dem modesüchtigen 17. Jahrh. Der Klingklang seiner pbo_094.007
Reimbindung blieb dann allein übrig, um ein Kompliment pbo_094.008
abzuzirkeln, ein Witzchen epigrammatisch herauszuarbeiten. Mit pbo_094.009
dem freieren Madrigal ward so das „sonnet orgueilleux“ pbo_094.010
(Boileau) auch der klassische Vertreter fader, preziöser Salon- pbo_094.011
und Kliquenpoesie. Die Variationen, die in solcher Verwendung pbo_094.012
mit ihm vorgenommen werden können, mag man pbo_094.013
der Litteraturgeschichte entnehmen.
pbo_094.014
Die Abschlußstrophen des Sonetts leiten uns unmittelbar pbo_094.015
auf diejenige Strophenform, die durch Dantes Weltgedicht, pbo_094.016
la divina commedia, schon ihre hervorragende Stellung belegen pbo_094.017
kann: die Terzine. Denkt man sich den Typus der pbo_094.018
fünffüßigen jambischen Dreizeile, wie er in den zwei Terzetten pbo_094.019
des Sonetts auftritt, durch Reimverschränkung immer weiter pbo_094.020
fortgesetzt, so erhält man das Bild einer Strophe, die durch pbo_094.021
zwei Reime eingerahmt mit dem Mittelreim über sich hinausstrebt pbo_094.022
und so förmlich immer neuen Atem schöpft: in ihrem pbo_094.023
energischen Vorwärtszuge bei großer Gehaltenheit des Rhythmus pbo_094.024
so das vorbestimmte Maß für die beschwingte, poetische pbo_094.025
Durchführung eines ernsten und kühnen Gedankeninhalts. pbo_094.026
Den endlichen Abschluß muß dann natürlich eine einzelne pbo_094.027
Reimzeile abgeben, da mit der zweiten Strophe schon wieder pbo_094.028
eine neue Reimung anhebt. Dies ist also das Schema:
pbo_094.029
a b a b c b c d c d e d e....
pbo_094.030
Die Terzine, durch das große Einleitungsgedicht der gesamten pbo_094.031
neueren Litteratur in Jtalien früh (13. Jh.) auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst).
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: dokumentiert;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: aufgelöst;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: DTABf-getreu;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet
Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/98>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.