Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_095.001 Jch saß vor Sonnenaufgang an dem Strande, pbo_095.008 pbo_095.010Das Sternenkreuz verkündete den Tag, pbo_095.009 Sich neigend zu des Horizontes Rande. Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag pbo_095.011 pbo_095.013Vor mir der Osten, leuchtend mir entrollte pbo_095.012 Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag. Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte ... (Aus dessen "Salas y Gomez".) pbo_095.015 pbo_095.001 Jch saß vor Sonnenaufgang an dem Strande, pbo_095.008 pbo_095.010Das Sternenkreuz verkündete den Tag, pbo_095.009 Sich neigend zu des Horizontes Rande. Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag pbo_095.011 pbo_095.013Vor mir der Osten, leuchtend mir entrollte pbo_095.012 Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag. Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte ... (Aus dessen „Salas y Gomez“.) pbo_095.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0099" n="95"/><lb n="pbo_095.001"/> die höchste Stufe gehoben, fand trotz immer wieder erneutem <lb n="pbo_095.002"/> Anklopfen in der Renaissancepoesie des 16. und 17. Jh. in <lb n="pbo_095.003"/> Deutschland lange keine Pflege. Erst das mächtige Einwirken <lb n="pbo_095.004"/> Dantes im Anfange unseres Jahrhunderts hat sie auch hier <lb n="pbo_095.005"/> zu Lande populär gemacht. Bekannt ist <hi rendition="#g">Chamissos</hi> Vorliebe <lb n="pbo_095.006"/> für diese Form.</p> <lb n="pbo_095.007"/> <lg type="poem"> <lg> <l>Jch saß vor Sonnenaufgang an dem Strande, </l> <lb n="pbo_095.008"/> <l>Das Sternenkreuz verkündete den Tag, </l> <lb n="pbo_095.009"/> <l>Sich neigend zu des Horizontes Rande. </l> </lg> <lb n="pbo_095.010"/> <lg> <l>Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag</l> <lb n="pbo_095.011"/> <l>Vor mir der Osten, leuchtend mir entrollte </l> <lb n="pbo_095.012"/> <l>Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag. </l> </lg> <lb n="pbo_095.013"/> <lg> <l>Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte ...</l> </lg> </lg> <lb n="pbo_095.014"/> <p> (Aus dessen „Salas y Gomez“.) </p> <p><lb n="pbo_095.015"/> Die <hi rendition="#g">Stanze</hi> oder <hi rendition="#g">Ottaverime</hi> kann ihrer inneren <lb n="pbo_095.016"/> Anlage nach als der Versuch angesehen werden, die Terzine <lb n="pbo_095.017"/> strophisch zum Stillstand und Abschluß zu bringen; womit <lb n="pbo_095.018"/> wir nicht gesagt haben wollen, daß sie sich historisch so gebildet <lb n="pbo_095.019"/> habe, obwohl ihr zeitliches Auftreten nach der Terzine <lb n="pbo_095.020"/> im 14. Jh. auch nicht gerade das Gegenteil beweist. Die <lb n="pbo_095.021"/> Stanze hat sich jedenfalls weit rascher überall Bahn gebrochen <lb n="pbo_095.022"/> (auch in Deutschland im 17. Jh.) und weit mehr Raum verschafft, <lb n="pbo_095.023"/> als die Terzinen. Jhre epische Verwendung in den <lb n="pbo_095.024"/> anmutigen und kühnen Rittergedichten, an denen sich die <lb n="pbo_095.025"/> italienische Renaissance für ihre antiken Schulstudien schadlos <lb n="pbo_095.026"/> hielt, machten sie zur modernen Heldenstrophe für alle möglichen <lb n="pbo_095.027"/> Vorwürfe aus dem Feen- und Schäferlande. Schiller <lb n="pbo_095.028"/> wagte sogar Virgils Aeneis in sie einzugießen. Goethes Bevorzugung <lb n="pbo_095.029"/> der Strophe für die tiefsinnigsten Aussprachen seines <lb n="pbo_095.030"/> Jnnern, wie Byrons dämonisch witziges Geplauder in ihr </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0099]
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die höchste Stufe gehoben, fand trotz immer wieder erneutem pbo_095.002
Anklopfen in der Renaissancepoesie des 16. und 17. Jh. in pbo_095.003
Deutschland lange keine Pflege. Erst das mächtige Einwirken pbo_095.004
Dantes im Anfange unseres Jahrhunderts hat sie auch hier pbo_095.005
zu Lande populär gemacht. Bekannt ist Chamissos Vorliebe pbo_095.006
für diese Form.
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Jch saß vor Sonnenaufgang an dem Strande, pbo_095.008
Das Sternenkreuz verkündete den Tag, pbo_095.009
Sich neigend zu des Horizontes Rande.
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Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag pbo_095.011
Vor mir der Osten, leuchtend mir entrollte pbo_095.012
Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag.
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Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte ...
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(Aus dessen „Salas y Gomez“.)
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Die Stanze oder Ottaverime kann ihrer inneren pbo_095.016
Anlage nach als der Versuch angesehen werden, die Terzine pbo_095.017
strophisch zum Stillstand und Abschluß zu bringen; womit pbo_095.018
wir nicht gesagt haben wollen, daß sie sich historisch so gebildet pbo_095.019
habe, obwohl ihr zeitliches Auftreten nach der Terzine pbo_095.020
im 14. Jh. auch nicht gerade das Gegenteil beweist. Die pbo_095.021
Stanze hat sich jedenfalls weit rascher überall Bahn gebrochen pbo_095.022
(auch in Deutschland im 17. Jh.) und weit mehr Raum verschafft, pbo_095.023
als die Terzinen. Jhre epische Verwendung in den pbo_095.024
anmutigen und kühnen Rittergedichten, an denen sich die pbo_095.025
italienische Renaissance für ihre antiken Schulstudien schadlos pbo_095.026
hielt, machten sie zur modernen Heldenstrophe für alle möglichen pbo_095.027
Vorwürfe aus dem Feen- und Schäferlande. Schiller pbo_095.028
wagte sogar Virgils Aeneis in sie einzugießen. Goethes Bevorzugung pbo_095.029
der Strophe für die tiefsinnigsten Aussprachen seines pbo_095.030
Jnnern, wie Byrons dämonisch witziges Geplauder in ihr
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