Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Hungerleiden. -- Wahr ist's, unsre Ofsiziere erhiel-
ten gerade damals die gemessenste Ordre, uns über
Kopf und Hals zu mustern; aber wir Rekrutten
wußten den Henker davon, und dachten halt, das
sey sonst so Kriegsmanier. Alte Soldaten vermuthe-
ten wohl so etwas, schwiegen aber mausstill. -- In-
dessen waren Schärer und ich blutarm geworden;
und was uns nicht an den Hintern gewachsen war,
hatten wir alles verkauft. Nun mußten wir mit
Brod und Wasser (oder Covent, das nicht viel
besser als Wasser ist) vorlieb nehmen. Mittlerwei-
le war ich von Zittemann weg, zu Wolfram und
Meevis ins Quartier kommen, von denen der erst-
re ein Zimmermann, der andre ein Schuster war,
und beyde einen guten Verdienst hatten. Mit die-
sen macht' ich Anfangs ebenfalls Menage. Sie hat-
ten so ihren Bauerntisch: Suppen und Fleisch, mit
Erdapfeln und Erbsen. Jeder schoß zu einem Mit-
tagsmahl zwey Dreyer: Abends und zum Frühstück
lebte jeder für sich. Ich aß besonders gern einen
Ochsenpfoten, einen Häring, oder ein Dreyerkäs-
gen. Nun aber konnt' ich's nicht mehr mit ihnen
halten; zu verkaufen hatt' ich nichts mehr, und mein
Sold gieng meist für Wäsche, Puder, Schuhwar,
Kreide, Schmirgel, Oel und anderes Plunderzeug
auf. Jetzt fieng ich erst recht an Trübsal zu blasen,
und keinem Menschen konnt' ich so recht von Herzens-
grund meine Noth klagen. Des Tags gieng ich um-
her wie der Schatten an der Wand. Des Nachts
legt' ich mich ins Fenster, guckte wainend in den

Hungerleiden. — Wahr iſt’s, unſre Ofſiziere erhiel-
ten gerade damals die gemeſſenſte Ordre, uns uͤber
Kopf und Hals zu muſtern; aber wir Rekrutten
wußten den Henker davon, und dachten halt, das
ſey ſonſt ſo Kriegsmanier. Alte Soldaten vermuthe-
ten wohl ſo etwas, ſchwiegen aber mausſtill. — In-
deſſen waren Schärer und ich blutarm geworden;
und was uns nicht an den Hintern gewachſen war,
hatten wir alles verkauft. Nun mußten wir mit
Brod und Waſſer (oder Covent, das nicht viel
beſſer als Waſſer iſt) vorlieb nehmen. Mittlerwei-
le war ich von Zittemann weg, zu Wolfram und
Meevis ins Quartier kommen, von denen der erſt-
re ein Zimmermann, der andre ein Schuſter war,
und beyde einen guten Verdienſt hatten. Mit die-
ſen macht’ ich Anfangs ebenfalls Menage. Sie hat-
ten ſo ihren Bauerntiſch: Suppen und Fleiſch, mit
Erdapfeln und Erbſen. Jeder ſchoß zu einem Mit-
tagsmahl zwey Dreyer: Abends und zum Fruͤhſtuͤck
lebte jeder fuͤr ſich. Ich aß beſonders gern einen
Ochſenpfoten, einen Haͤring, oder ein Dreyerkaͤſ-
gen. Nun aber konnt’ ich’s nicht mehr mit ihnen
halten; zu verkaufen hatt’ ich nichts mehr, und mein
Sold gieng meiſt fuͤr Waͤſche, Puder, Schuhwar,
Kreide, Schmirgel, Oel und anderes Plunderzeug
auf. Jetzt fieng ich erſt recht an Truͤbſal zu blaſen,
und keinem Menſchen konnt’ ich ſo recht von Herzens-
grund meine Noth klagen. Des Tags gieng ich um-
her wie der Schatten an der Wand. Des Nachts
legt’ ich mich ins Fenſter, guckte wainend in den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="133"/>
Hungerleiden. &#x2014; Wahr i&#x017F;t&#x2019;s, un&#x017F;re Of&#x017F;iziere erhiel-<lb/>
ten gerade damals die geme&#x017F;&#x017F;en&#x017F;te Ordre, uns u&#x0364;ber<lb/>
Kopf und Hals zu mu&#x017F;tern; aber wir Rekrutten<lb/>
wußten den Henker davon, und dachten halt, das<lb/>
&#x017F;ey &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o Kriegsmanier. Alte Soldaten vermuthe-<lb/>
ten wohl &#x017F;o etwas, &#x017F;chwiegen aber maus&#x017F;till. &#x2014; In-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en waren <hi rendition="#fr">Schärer</hi> und ich blutarm geworden;<lb/>
und was uns nicht an den Hintern gewach&#x017F;en war,<lb/>
hatten wir alles verkauft. Nun mußten wir mit<lb/>
Brod und Wa&#x017F;&#x017F;er (oder Covent, das nicht viel<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er als Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t) vorlieb nehmen. Mittlerwei-<lb/>
le war ich von <hi rendition="#fr">Zittemann</hi> weg, zu <hi rendition="#fr">Wolfram</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Meevis</hi> ins Quartier kommen, von denen der er&#x017F;t-<lb/>
re ein Zimmermann, der andre ein Schu&#x017F;ter war,<lb/>
und beyde einen guten Verdien&#x017F;t hatten. Mit die-<lb/>
&#x017F;en macht&#x2019; ich Anfangs ebenfalls Menage. Sie hat-<lb/>
ten &#x017F;o ihren Bauernti&#x017F;ch: Suppen und Flei&#x017F;ch, mit<lb/>
Erdapfeln und Erb&#x017F;en. Jeder &#x017F;choß zu einem Mit-<lb/>
tagsmahl zwey Dreyer: Abends und zum Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck<lb/>
lebte jeder fu&#x0364;r &#x017F;ich. Ich aß be&#x017F;onders gern einen<lb/>
Och&#x017F;enpfoten, einen Ha&#x0364;ring, oder ein Dreyerka&#x0364;&#x017F;-<lb/>
gen. Nun aber konnt&#x2019; ich&#x2019;s nicht mehr mit ihnen<lb/>
halten; zu verkaufen hatt&#x2019; ich nichts mehr, und mein<lb/>
Sold gieng mei&#x017F;t fu&#x0364;r Wa&#x0364;&#x017F;che, Puder, Schuhwar,<lb/>
Kreide, Schmirgel, Oel und anderes Plunderzeug<lb/>
auf. Jetzt fieng ich er&#x017F;t recht an Tru&#x0364;b&#x017F;al zu bla&#x017F;en,<lb/>
und keinem Men&#x017F;chen konnt&#x2019; ich &#x017F;o recht von Herzens-<lb/>
grund meine Noth klagen. Des Tags gieng ich um-<lb/>
her wie der Schatten an der Wand. Des Nachts<lb/>
legt&#x2019; ich mich ins Fen&#x017F;ter, guckte wainend in den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0149] Hungerleiden. — Wahr iſt’s, unſre Ofſiziere erhiel- ten gerade damals die gemeſſenſte Ordre, uns uͤber Kopf und Hals zu muſtern; aber wir Rekrutten wußten den Henker davon, und dachten halt, das ſey ſonſt ſo Kriegsmanier. Alte Soldaten vermuthe- ten wohl ſo etwas, ſchwiegen aber mausſtill. — In- deſſen waren Schärer und ich blutarm geworden; und was uns nicht an den Hintern gewachſen war, hatten wir alles verkauft. Nun mußten wir mit Brod und Waſſer (oder Covent, das nicht viel beſſer als Waſſer iſt) vorlieb nehmen. Mittlerwei- le war ich von Zittemann weg, zu Wolfram und Meevis ins Quartier kommen, von denen der erſt- re ein Zimmermann, der andre ein Schuſter war, und beyde einen guten Verdienſt hatten. Mit die- ſen macht’ ich Anfangs ebenfalls Menage. Sie hat- ten ſo ihren Bauerntiſch: Suppen und Fleiſch, mit Erdapfeln und Erbſen. Jeder ſchoß zu einem Mit- tagsmahl zwey Dreyer: Abends und zum Fruͤhſtuͤck lebte jeder fuͤr ſich. Ich aß beſonders gern einen Ochſenpfoten, einen Haͤring, oder ein Dreyerkaͤſ- gen. Nun aber konnt’ ich’s nicht mehr mit ihnen halten; zu verkaufen hatt’ ich nichts mehr, und mein Sold gieng meiſt fuͤr Waͤſche, Puder, Schuhwar, Kreide, Schmirgel, Oel und anderes Plunderzeug auf. Jetzt fieng ich erſt recht an Truͤbſal zu blaſen, und keinem Menſchen konnt’ ich ſo recht von Herzens- grund meine Noth klagen. Des Tags gieng ich um- her wie der Schatten an der Wand. Des Nachts legt’ ich mich ins Fenſter, guckte wainend in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/149
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/149>, abgerufen am 23.11.2024.