Erstgebohrenen. Von der ersten Stund' an, da er sich legte, wollt' er, ausser lauterm Brunnenwasser, nichts, weder Speis noch Trank mehr zu sich nehmen; und in acht Tagen war er eine Leiche. Nur Gott weiß, was ich bey diesem Unfall empfunden: Ein so gutar- tiges Kind, das ich wie meine Seele liebte, unter einer so schmerzhaften Krankheit geduldig wie ein Lamm Tag und Nacht -- denn es genoß auch nicht eine Minute Ruh' -- leiden zu sehn! Noch in der letzten Todesstunde, riß es mich mit seinen schon kalten Händchen auf sein Gesicht herunter, küßte mich noch mit seinem erstorbnen Mündchen, und sagte un- ter leisem Wimmern, mit stammelndem Zünglin: "Lieber Aeti! es ist genug. Komm auch bald nach. "Ich will itzt im Himmel ein Engelin werden"; rang dann mit dem Tod', und verschied. Mir war, mein Herz wollte mir in tausend Stücke zerspringen. Mein bittres Klaglied über diesen ersten Raub des grossen Würgers in meinem Hause, liegt in meinem Tagebuch. -- Noch war mein Söhnlein nicht begra- ben, so griff die wüthende Seuche mein ältestes Töch- tergen, und zwar noch viel heftiger an; es wäre denn, daß dieß gute Kind seine Leiden nicht so standhaft er- trug als sein Bruder. Und kurz, es war, aller Sorg- falt der Aerzte ungeachtet, noch schneller hingeraft, in seinem achten, das Knäblin im neunten Jahr. Diese Krankheit kam mir so eckelhaft vor, daß ich's so- gar bey meinen Kindern nie recht ohne Grausen aus- halten konnte. Als nun das Mädchen kaum todt, und ich von Wachen, Sorgen und Wehmuth wie ver-
Erſtgebohrenen. Von der erſten Stund’ an, da er ſich legte, wollt’ er, auſſer lauterm Brunnenwaſſer, nichts, weder Speis noch Trank mehr zu ſich nehmen; und in acht Tagen war er eine Leiche. Nur Gott weiß, was ich bey dieſem Unfall empfunden: Ein ſo gutar- tiges Kind, das ich wie meine Seele liebte, unter einer ſo ſchmerzhaften Krankheit geduldig wie ein Lamm Tag und Nacht — denn es genoß auch nicht eine Minute Ruh’ — leiden zu ſehn! Noch in der letzten Todesſtunde, riß es mich mit ſeinen ſchon kalten Haͤndchen auf ſein Geſicht herunter, kuͤßte mich noch mit ſeinem erſtorbnen Muͤndchen, und ſagte un- ter leiſem Wimmern, mit ſtammelndem Zuͤnglin: „Lieber Aeti! es iſt genug. Komm auch bald nach. „Ich will itzt im Himmel ein Engelin werden„; rang dann mit dem Tod’, und verſchied. Mir war, mein Herz wollte mir in tauſend Stuͤcke zerſpringen. Mein bittres Klaglied uͤber dieſen erſten Raub des groſſen Wuͤrgers in meinem Hauſe, liegt in meinem Tagebuch. — Noch war mein Soͤhnlein nicht begra- ben, ſo griff die wuͤthende Seuche mein aͤlteſtes Toͤch- tergen, und zwar noch viel heftiger an; es waͤre denn, daß dieß gute Kind ſeine Leiden nicht ſo ſtandhaft er- trug als ſein Bruder. Und kurz, es war, aller Sorg- falt der Aerzte ungeachtet, noch ſchneller hingeraft, in ſeinem achten, das Knaͤblin im neunten Jahr. Dieſe Krankheit kam mir ſo eckelhaft vor, daß ich’s ſo- gar bey meinen Kindern nie recht ohne Grauſen aus- halten konnte. Als nun das Maͤdchen kaum todt, und ich von Wachen, Sorgen und Wehmuth wie ver-
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Erſtgebohrenen. Von der erſten Stund’ an, da er ſich
legte, wollt’ er, auſſer lauterm Brunnenwaſſer, nichts,
weder Speis noch Trank mehr zu ſich nehmen; und
in acht Tagen war er eine Leiche. Nur Gott weiß,
was ich bey dieſem Unfall empfunden: Ein ſo gutar-
tiges Kind, das ich wie meine Seele liebte, unter
einer ſo ſchmerzhaften Krankheit geduldig wie ein
Lamm Tag und Nacht — denn es genoß auch nicht
eine Minute Ruh’ — leiden zu ſehn! Noch in der
letzten Todesſtunde, riß es mich mit ſeinen ſchon
kalten Haͤndchen auf ſein Geſicht herunter, kuͤßte mich
noch mit ſeinem erſtorbnen Muͤndchen, und ſagte un-
ter leiſem Wimmern, mit ſtammelndem Zuͤnglin:
„Lieber Aeti! es iſt genug. Komm auch bald nach.
„Ich will itzt im Himmel ein Engelin werden„;
rang dann mit dem Tod’, und verſchied. Mir war,
mein Herz wollte mir in tauſend Stuͤcke zerſpringen.
Mein bittres Klaglied uͤber dieſen erſten Raub des
groſſen Wuͤrgers in meinem Hauſe, liegt in meinem
Tagebuch. — Noch war mein Soͤhnlein nicht begra-
ben, ſo griff die wuͤthende Seuche mein aͤlteſtes Toͤch-
tergen, und zwar noch viel heftiger an; es waͤre denn,
daß dieß gute Kind ſeine Leiden nicht ſo ſtandhaft er-
trug als ſein Bruder. Und kurz, es war, aller Sorg-
falt der Aerzte ungeachtet, noch ſchneller hingeraft,
in ſeinem achten, das Knaͤblin im neunten Jahr.
Dieſe Krankheit kam mir ſo eckelhaft vor, daß ich’s ſo-
gar bey meinen Kindern nie recht ohne Grauſen aus-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/217>, abgerufen am 21.11.2024.
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