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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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denken, mein Sohn! wie's mir armen einfältigen
Tropfen dabey zu Muthe war. Meine Frau vollends
speyte Feuer und Flammen über mich aus, wollte sich
viele Wochen nicht besänftigen lassen, und gewann nun
gar Eckel und Widerwillen gegen jedes Buch, wenn's
zumal aus unsrer Bibliothek kam. Einmal hatt' ich
den Argwohn, sie selbst habe um diese Zeit meinen
Creditoren eingeblasen, daß sie mich nur brav ängsti-
gen sollten. Sie läugnet's zwar noch auf den heuti-
gen Tag; und Gott verzeih' mir's! wenn ich falsch
gemuthmaaßt, habe; aber damals hätt' ich mir's nicht
ausnehmen lassen. Genug, meine Treiber setzten itzt
stärker in mich als sonst noch nie. Da hieß es:
Hast du Geld, dich in die Büchergesellschaft einzu-
kaufen, so zahl' auch mich. Wollt' ich etwas borgen,
so wies man mich an meine Herren Collegen. "O
"du armer Mann"! dacht' ich, "was du da aber
"vor einen hundsdummen Streich gemacht, der dir
"vollends den Rest geben muß. Hätt'st du dich doch
"mit deinem Morgen- und Abendseegen begnügt,
"wie so viele andre deiner redlichen Mitlandsleuthe.
"Jezt hast du deine alten Freund' verloren -- von
"den neuen darfst und magst du keinen um einen
"Kreuzer ansprechen. Deine Frau hagelt auch auf
"dich zu. Du Narr! was nützt dir itzt all' dein
"Lesen und Schreiben? Kaum wirst du noch dir und
"deinen Kindern den Betelstab daraus kaufen kön-
"nen", u. s. f. So macht ich mir selber die bit-
tersten Vorwürfe, und rang oft beynahe mit der
Verzweiflung. Dann sucht' ich freylich von Zeit

denken, mein Sohn! wie’s mir armen einfaͤltigen
Tropfen dabey zu Muthe war. Meine Frau vollends
ſpeyte Feuer und Flammen uͤber mich aus, wollte ſich
viele Wochen nicht beſaͤnftigen laſſen, und gewann nun
gar Eckel und Widerwillen gegen jedes Buch, wenn’s
zumal aus unſrer Bibliothek kam. Einmal hatt’ ich
den Argwohn, ſie ſelbſt habe um dieſe Zeit meinen
Creditoren eingeblaſen, daß ſie mich nur brav aͤngſti-
gen ſollten. Sie laͤugnet’s zwar noch auf den heuti-
gen Tag; und Gott verzeih’ mir’s! wenn ich falſch
gemuthmaaßt, habe; aber damals haͤtt’ ich mir’s nicht
ausnehmen laſſen. Genug, meine Treiber ſetzten itzt
ſtaͤrker in mich als ſonſt noch nie. Da hieß es:
Haſt du Geld, dich in die Buͤchergeſellſchaft einzu-
kaufen, ſo zahl’ auch mich. Wollt’ ich etwas borgen,
ſo wies man mich an meine Herren Collegen. „O
„du armer Mann„! dacht’ ich, „was du da aber
„vor einen hundsdummen Streich gemacht, der dir
„vollends den Reſt geben muß. Haͤtt’ſt du dich doch
„mit deinem Morgen- und Abendſeegen begnuͤgt,
„wie ſo viele andre deiner redlichen Mitlandsleuthe.
„Jezt haſt du deine alten Freund’ verloren — von
„den neuen darfſt und magſt du keinen um einen
„Kreuzer anſprechen. Deine Frau hagelt auch auf
„dich zu. Du Narr! was nuͤtzt dir itzt all’ dein
„Leſen und Schreiben? Kaum wirſt du noch dir und
„deinen Kindern den Betelſtab daraus kaufen koͤn-
„nen„, u. ſ. f. So macht ich mir ſelber die bit-
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Verzweiflung. Dann ſucht’ ich freylich von Zeit

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[211/0227] denken, mein Sohn! wie’s mir armen einfaͤltigen Tropfen dabey zu Muthe war. Meine Frau vollends ſpeyte Feuer und Flammen uͤber mich aus, wollte ſich viele Wochen nicht beſaͤnftigen laſſen, und gewann nun gar Eckel und Widerwillen gegen jedes Buch, wenn’s zumal aus unſrer Bibliothek kam. Einmal hatt’ ich den Argwohn, ſie ſelbſt habe um dieſe Zeit meinen Creditoren eingeblaſen, daß ſie mich nur brav aͤngſti- gen ſollten. Sie laͤugnet’s zwar noch auf den heuti- gen Tag; und Gott verzeih’ mir’s! wenn ich falſch gemuthmaaßt, habe; aber damals haͤtt’ ich mir’s nicht ausnehmen laſſen. Genug, meine Treiber ſetzten itzt ſtaͤrker in mich als ſonſt noch nie. Da hieß es: Haſt du Geld, dich in die Buͤchergeſellſchaft einzu- kaufen, ſo zahl’ auch mich. Wollt’ ich etwas borgen, ſo wies man mich an meine Herren Collegen. „O „du armer Mann„! dacht’ ich, „was du da aber „vor einen hundsdummen Streich gemacht, der dir „vollends den Reſt geben muß. Haͤtt’ſt du dich doch „mit deinem Morgen- und Abendſeegen begnuͤgt, „wie ſo viele andre deiner redlichen Mitlandsleuthe. „Jezt haſt du deine alten Freund’ verloren — von „den neuen darfſt und magſt du keinen um einen „Kreuzer anſprechen. Deine Frau hagelt auch auf „dich zu. Du Narr! was nuͤtzt dir itzt all’ dein „Leſen und Schreiben? Kaum wirſt du noch dir und „deinen Kindern den Betelſtab daraus kaufen koͤn- „nen„, u. ſ. f. So macht ich mir ſelber die bit- terſten Vorwuͤrfe, und rang oft beynahe mit der Verzweiflung. Dann ſucht’ ich freylich von Zeit

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/227>, abgerufen am 24.11.2024.